Dienstag, 28. April 2009

Basel: Rüstung und Robe (bis 30. August)

Basel.- Das Haus des erklärten Amateur-Schlossers Jean Tinguely öffnet sich der hohen Schule des wehrhaften Harnischs, dem grossartigen Handwerk der „Plattnerei“ und zeigt eiserne Männer-Roben für Krieg, Turnier und Prunk. Die Ausstellung "Rüstung & Robe", die vom 13. Mai bis 30. August 2009 im Museum Tinguely zu sehen ist, hat ihren Ursprung in einer anderen Ausstellung. 1991 fand in der Wiener Hofburg eine unvergessliche, ja überwältigende Konfrontation von Rüstungen der Wiener Hofjagd- und Rüstkammer, weltbester Adresse dieser in eine Tabuzone verdrängten Hochkultur, und Roben des italienischen Modestars Roberto Capucci unter dem Titel "Roben wie Rüstungen" statt.
Die Schau "Rüstung & Robe" ist eine Hommage an diese Wiener Präsentation, geht aber in Dramaturgie und Grösse darüber hinaus. Da über 60 Harnische und 12 Roben sowie viele Einzelteile wie Helme, Brustpanzer oder Beinzeug, Hellebarden und Speere die grosse Halle sowie die gesamte Galerie samt Aufgang bestücken und dieses exklusive Ausstellungsgut im Museum eines Eisenplastikers zelebriert wird, verhandelt es auch die weitläufige und gegensätzliche Thematik der Eisenverarbeitung.

Ein Amateur von unerhörter Kreativität, ein Spieler mit Abfall und Schrott, ein erklärter Anarchist wie verkappter Militarist, der Kinetiker Jean Tinguely trifft also auf die einsame Hochblüte des Metiers, auf das Kunsthandwerk der "Plattnerei". "Plattner" so hiessen jene Meister und Metallkünstler, die vorwiegend aus ihren Werkstätten in Augsburg und Nürnberg, Innsbruck und Landeck, aus Graz, Mailand und Brescia die europäischen Armeen und Höfe mit Kriegs- und später mit Turniergarnituren belieferten.

Eine Auswahl aus dem Weltreich ritterlicher Rüstungskultur, das sich vom gesamten Europa nach der Türkei, Indien, Tibet bis Japan erstreckte, beschränkt sich auf Harnische aus dem Habsburger Weltreich und der Eidgenossenschaft, und spiegelt somit auch eine aufwühlende Epoche mitteleuropäischer Geschichte. So stammen die zumeist zwischen 1485 und 1570 gefertigten Harnische aus den letzten beiden europäischen Original-Zeughäusern, aus Graz in der Steiermark, Grenzgebiet gegen die türkischen Invasoren, und aus Solothurn. Landsknechte, schwere Reiterei, "Böse Buben" und Husaren aus der phänomenalen Grazer Sammlung rufen mit einer Solothurner "Delegation" die Erinnerung wach an die Schlachten von Morgarten, Sempach und Näfels.

Geriffelte Prunkrüstungen aus Graz, vor allem aber zehn exzeptionelle Exemplare aus der Rüstkammer des Kunsthistorischen Museums Wien, "massgeschneiderte" und reich verzierte Metall-Kleider für Kaiser und Erzherzöge, Kurfürsten und Landgrafen, illustrieren den Übergang zu den Turnierharnischen nach 1500, in der Zeit Kaiser Maximilians I., des "letzten Ritters". Je ein "Plankengestech" aus Graz und Wien weisen insbesondere auf fabelhafte skulpturale Qualitäten und den höfischen Glanz der Turniere hin.

An dieser Stelle setzt denn auch der Dialog mit den häufig plissierten, seidenen Abendroben von Roberto Capucci aus den achtziger Jahren ein. Dieser 1930 in Rom geborene, in den fünfziger Jahren berühmt gewordene Mode-Künstler, der Schönheiten wie Esther Williams oder Silvana Mangano einkleidete und in den frühen Sechzigern von Christian Dior kurzfristig nach Paris geholt wurde, hat sich schon früh an Rüstungen inspiriert – wie diese feiern seine Roben das Handwerk als triumphale künstliche zweite Haut. In ihrer Nähe stossen Eros und Todestrieb aufeinander – die hohlen gesichtslosen Körper frösteln und entzücken zugleich, Krieg und Welttheater, Untergang und Elevation paaren sich auf dem Laufsteg der Geschichte, der Mythen und des Scheins, der blutgetränkten Erde und den wilden Träumen der Phantasie.

Die Roben von Roberto Capucci leiten als Hommage an die Wiener Ausstellung von 1991 unseren Rundgang ein und schliessen ihn auch wieder ab. Die farbenprächtige, weiche Welt des Stoffs wird ergänzt durch Kommentare der Frauenkünstlerinnen Niki de Saint Phalle und Eva Aeppli, die mit dem Mythos von "Lysistrata" einerseits und den "Witwen" die männliche Wahnwelt von Macht, Politik und Gewalt kritisch hinterfragen. Zwischen Metall und Stoff "vermitteln" auch die Figurinen, welche Oskar Schlemmer für sein "Triadisches Ballett" geschaffen hat. Werkgruppen von Tinguely, Luginbühl und Spoerri parodieren auf der Galerie die Militärgeschichte, wie sie umgekehrt von ihrem Faszinosum erzählen.

Insbesondere das legendäre Berner Barbara-Schiessen von 1972 sowie der gemeinsame Film "Un rêve plus long que la nuit" fügen sich bis Tinguelys "Hannibal" oder "Totentanz" in einen grösseren historischen und inhaltlichen Kontext ein, der durch einen "Apokalypse"-Comic von M. S. Bastian bis in die Gegenwart reicht. Ein Ausblick in die unzählige Ritterfilme sowie das Weiterleben des "gerüsteten" Körpers von Metropolis zu Star Wars, von Madonna zu Heath Ledger, schliessen die Wiederentdeckung einer Schatzkammer ab, die zu lange verschlossen oder in den Händen von Spezialisten oder Fanatikern verwahrt blieb. Das Projekt schlägt eine Art Wiederbesichtigung vor – die Rehabilitierung eines grossen Kunsthandwerks – und wirft Fragen auf, welche die menschliche Existenz gemeinhin betreffen.

Der Katalog zu Ausstellung erscheint im Kehrer Verlag Heidelberg erscheinender Katalog mit einem Vorwort des Ausstellungskurators Guido Magnaguagno und Beiträgen von Christian Beaufort, Andreas Beyer, Silvia Ferino, Marco Leutenegger, Johannes Ramharter, C. Raman Schlemmer, Daniel Spoerri und Andres Pardey (Deutsche Ausgabe, Festeinband, ca. 200 Seiten, 200 Farbabb.). Die Buchvernissage findet im Museum Tinguely am Sonntag, 14. Juni 2009, um 10.00 Uhr anlässlich des Art Breakfast statt.
Abbildung: Fondazione Roberto Capucci, Rom, 1985; 'Fuoco' Army National Guard Armory New York. Deutscher Visierhelm, blank, um 1510, Landeszeughaus Graz, Landesmuseum Joanneum. © Fotos: Gianluca Baronchelli / Musei Provinciali di Gorizia & LMJ, Nicolas Lackner


Rüstung & Robe
13. Mai bis 30. August 2009
Vernissage: Di 12. Mai 09, 18.30 Uhr
Museum Tinguely
Paul Sacher-Anlage 1
CH - 4002 Basel
0041 (0)61 68193-20
info@tinguely.ch
http://www.tinguely.ch

Öffnungszeiten: Di bis So 11 – 19 Uhr, Montag geschlossen

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