Freitag, 6. Mai 2011

Difesa della Natura

Joseph Beuys; Rose für direkte Demokratie, 1977. Rose in Messglas auf originalem 1920er-Jahre Marmortisch; © 2011 ProLitteris, Zürich

Zürich.- Vom 13. Mai bis 14. August 2011 zeigt das Kunsthaus Zürich einen umfassenden, unveröffentlichten und vielschichtigen Werkkomplex des Bildhauers und Aktionskünstlers Josef Beuys: «Difesa della Natura» (Verteidigung der Natur). Im Zentrum der aus über 100 Objekten, Fotografien, Dokumenten, Editionen und Videos bestehenden Präsentation steht «Olivestone», eine Installation ersten Ranges des deutschen Künstlers. Diese majestätische Arbeit wird erstmals im umfassenden Kontext ihrer Entstehung gezeigt.

Über viele Jahre weilte Joseph Beuys (1921–1986) immer wieder in Bolognano, einem kleinen Bergdorf in den südlichen Abruzzen, wo seine Freunde, Baron Buby Durini und dessen Frau Lucrezia De Domizio, ein Landgut besassen. Beuys’ Aktivitäten in diesem Ort, die in Zusammenarbeit mit dem Ehepaar Durini unternommen wurden, nahmen bald die Gestalt verschiedener langfristiger Projekte an – allesamt künstlerisch, politisch, ökologisch und humanitär motiviert. Von 1973 bis 1985 fanden in Bolognano Diskussionen und landwirtschaftliche Aktivitäten statt. Begleitend dazu entstanden Plastiken, Zeichnungen, Fotografien, Videos, Tonbänder, Wandtafelzeichnungen und Editionen. Diese Zeugnisse sind dank des persönlichen Engagements der Baronessa Lucrezia De Domizio Durini vollumfänglich erhalten geblieben. Die besondere Bedeutung der Ausstellung besteht darin, dass sie auf eindrückliche Weise demonstriert, dass das wahre Ziel der menschlichen und künstlerischen Aktivitäten des deutschen Künstlers letztlich nicht in der Herstellung von eigentlichen Skulpturen bestand, sondern darin, eine Verbesserung der Gesellschaft zu erreichen.

Beuys erweiterte den Begriff der plastischen Arbeit in einer Weise, dass deren einziger Gegenstand die menschliche Gesellschaft sein sollte. Seine plastische (d.h. «bildende» im formalen Sinne) Arbeit muss in transzendentalem Sinne verstanden werden: die plastische Arbeit von Beuys soll der am Materialismus erkrankten westlichen Welt zu einer neuen sozialen und basisdemokratischen Lebensform verhelfen, einer solidarischen und freien Zusammenarbeit aller Menschen dieses Planeten verhaftet, seien diese auch unterschiedlicher sozialer, ökonomischer, religiöser, politischer und kultureller Herkunft. Dieser utopische Horizont eines neuen sozialen Organismus bildet das eigentliche Ziel seiner vielseitigen Tätigkeiten; Beuys‘ philosophisches Konzept ist die «Soziale Plastik», das einzige Kunstwerk, das dem Menschen dient, die existierenden sozialen Verhaltensweisen zu verbessern.

Die Ausstellung nimmt das meisterhafte Werk «Olivestone» zum Anlass, um die Aktionen und Aktivitäten von Beuys in Bolognano in Erinnerung zu rufen. Das Ehepaar Durini hatte dieses Schlüsselwerk 1992 dem Kunsthaus Zürich geschenkt. Die fünf Steinwannen aus dem frühen 18. Jahrhundert, die der Künstler im Palazzo Durini selbst ausgewählt hatte, können nun, von zahlreichen verschiedenartigen Leihgaben umringt, wieder im Kontext ihrer Entstehung gesehen werden.

Auf den ersten Besuch Joseph Beuys‘ in den Abruzzen im Oktober 1972 folgte zwei Jahre später die erste wichtige Diskussion, «Incontro con Beuys», eine sozialpolitische Aktion, in deren Verlauf Wandtafelzeichnungen und eine Skulptur entstehen. Zwischen Dezember 1976 und Februar 1978 finden Veranstaltungen und Aktionen statt, welche die Erneuerung der Landwirtschaft zum Thema haben. Es folgen viele weitere Besuche und Arbeiten von Beuys, die zusammen schliesslich zu der berühmten Aktion «Difesa della Natura» führen.

Der Künstler beginnt, ein 15 Hektar grosses Gelände mit 7000 vom Aussterben bedrohten Sträuchern und Bäumen zu bepflanzen und nennt den Hain «Piantagione Paradise», mit dem Blick in die Zukunft und auf die Beteiligung von am Beuys‘schen Fragenkomplex interessierten Menschen. Am 13. Mai 1984 wird Beuys Ehrenbürger von Bolognano, pflanzt gegenüber von seinem Atelier die «Erste italienische Eiche» der «Piantagione Paradise» als Symbol des gesamten abruzzesischen Projekts, und veranstaltet eine Diskussion mit dem Titel «Difesa della Natura». Beuys spricht von Kreativität und vertieft die Ziele seines Projekts, indem er dessen Weiterführung zusichert. Die konkrete Beuys‘sche Utopie in «Difesa della Natura» transformiert sich in eine «Difesa della Terra» (Verteidigung der Erde). »Difesa della Natura« meint nicht nur ökologische Bedingungen, sondern will vor allem unter einem anthropologischem Gesichtspunkt gelesen werden: Schutz des Menschen, des Individuums, der Kreativität und der menschlichen Werte - Themen, die noch immer hochaktuell sind.

Kurator Tobia Bezzola breitet zusammen mit Lucrezia De Domizio Durini dieses und andere Projekte des Künstlers aus. Im Sammlungstrakt des Kunsthauses, auf über 900 m2, wird der Betrachter zu einem menschlichen und künstlerischen Rundgang eingeladen, auf welchem jede kleinste Arbeit Erinnerungsstück und Dokument ist. In einer kleinen Koje präsentiert sich die «Rose für direkte Demokratie». Stempel und Fotografien stammen von der Aktion «7000 Eichen», die Beuys 1982 an der Documenta 7 in Kassel ins Leben rief. Dem «Tagebuch der Seychellen» ist ein eigener Bereich gewidmet. Konferenzen, Performances und Dokumentationen können anhand von verschiedenen Videos nachverfolgt werden. Daneben sind die von Lucrezia De Domizio Durini veranlassten Editionen und Publikationen ausgestellt.

Aus der Ausstellung geht deutlich hervor, dass dem Beuys‘schen sozialen Kunstbegriff entsprechend auch Werkformen, die man traditionellerweise eher als peripher betrachten mag, zentrale Bedeutung gewinnen. Insbesondere seine Auflagenobjekte, von denen er mit und für Lucrezia De Domizio über 25 produzierte, zählten für Beuys zu den wichtigsten Vehikeln für die Verbreitung seiner Gedanken. Diese «Multiples» sollten als «Kondensationskerne» dienen. In ihnen paraphrasierte Beuys die Inhalte seiner Aktionen und politischen, sozialen und pädagogischen Aktivitäten, sie sollten als transportable Monumente seine Ideen in die Welt und das Bewusstsein der Menschen tragen.

Gemeinsam mit dem Verlag Electa (Mailand) gibt das Kunsthaus Zürich zur Ausstellung unter dem Titel «Beuys Voice» eine von Lucrezia De Domizio betreute über 960 Seiten starke begleitende Publikation mit über 400 Abbildungen aus dem Archiv De Domizio Durini auf Deutsch, Englisch und Italienisch heraus. Das Buch enthält Beiträge und Zeugnisse zahlreicher illustrer Autoren, die sich über die Jahre Beuys und dem Projekt «Difesa della Natura» gewidmet haben (Pierre Restany, Harald Szeemann, Felix Baumann, Johannes Stüttgen u.a.m.). Es dokumentiert und kommentiert vor allem in umfassender Weise den jahrzehntelangen Einsatz der Baronin Lucrezia De Domizio Durini für das Werk von Joseph Beuys. In einem Gespräch mit Tobia Bezzola berichtet sie von ihrer langen Freundschaft mit dem Künstler, den gemeinsamen Aktionen und von ihrem unermüdlichen Einsatz für die Dokumentation und Verbreitung der Philosophie des Künstlers nach dessen Tod.

Öffnungszeiten: Sa/So/Di 10 – 18 Uhr Mi bis Fr 10 – 20 Uhr Montag geschlossen

Joseph Beuys. Difesa della Natura
13. Mai bis 14. August 2011
Kunsthaus Zürich
Heimplatz 1
CH - 8001 Zürich
0041 (0)44 25384-84
info@kunsthaus.ch
www.kunsthaus.ch

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