Corallo, 2004, Design: Fernando und Humberto Campana, Ausführung: Edra, Stahldraht, korallenrote Pulverbeschichtung © MAK/Georg Mayer
Zürich.- Mit formlosen Möbeln verweigerten Designer Mitte der 1960er Jahre Konventionen im Bereich des Interieurs. Inspiriert von der Kunst experimentierten sie mit Material, um Alternativen zum Bestehenden zu schaffen. Ihre Möbel zwischen Design und Skulptur standen für ein neues Gesellschaftsbewusstsein und lassen sich als Verstoss gegen die «Gute Form» betrachten. Die Ausstellung «Formlose Möbel» im Zürcher Museum für Gestaltung zeigt die Gültigkeit der Maxime «form follows material», welche die Beziehung von Form und Werkstoff neu definierte.
Bis heute opponieren Gestalter spielerisch gegen Althergebrachtes und die Vermarktung konformer Lebenswelten. «Formlose Möbel» bietet mit Sitzobjekten von Gunnar A. Andersen und Gaetano Pesce über Ron Arad, Bär+Knell bis zu den aktuellen Gestaltungsansätzen von Jerszy Seymour, Big Game und den am Computer generierten «Blobjects» von Karim Rashid einen Überlick über das experimentelle Entwerfen in den letzten 40 Jahren.
Künstler wie Robert Morris, Joseph Beuys, Michelangelo Pistoletto, César Baldaccini oder Lynda Benglis entdeckten Mitte der 1960er Jahre die Formlosigkeit als Ausgangspunkt für künstlerische Materialexperimente. Sie widersetzten sich mit raumgreifenden Anti-Formen aus ungestalteten Werkstoffen wie Fett, Erde und Lumpen oder Expansionen aus Kunststoff den vorherrschenden Kunstgattungen. Das neue Materialverständnis hatte grossen Einfluss auf die Möbelentwürfe der zeitgenössischen Designer – etwa auf Gunnar Aargaard Andersens experimentellen «Armchair» aus Polyurethan oder auf Roger Deans aufgeschäumtes Sitzmöbel «Sea Urchin».
Die formlosen Möbel verstanden sich als Rebellion gegen eine nur nach funktionalen Aspekten ausgerichtete Ausformung der Lebenswelt. Vor allem aber lassen sie sich als bewusste Missachtung der sogenannten «Guten Form» betrachten, die ausgehend aus der Schweiz das Design der Nachkriegszeit dominiert hatte. In ihrer überladenen und chaotischen Struktur gingen diese Unformen aus Filzbahnen, Lumpenhaufen, Drahtgeflechten und Schaumstoffbergen oft weit über die verschnörkelten Schmuckformen des Barock hinaus und brachen strikt mit dem geometrischen Vokabular klassischer und moderner Gestaltung.
Die Ausstellung bietet ein breites Spektrum von Objekten aus der bunt-euphorischen Epoche der Kunststoffe über Möbel aus gezielt einfachen und ärmlichen Materialien bis zu Objekten mit perfekten Oberflächen des digitalen Zeitalters. Die Schau bezieht sich thematisch auf die Auseinandersetzung mit den sich wandelnden theoretischen Vorstellungen der Formlosigkeit im 20. Jahrhundert von Georges Batailles «informe» über Robert Morris’ «Anti-Form» und den neuesten experimentellen Spielarten des Formlosen in Texten von Greg Lynn oder Jerszy Seymour.
In der Ausstellung «Formlose Möbel» sind ausschliesslich Sitzmöbel zu sehen, die aufgrund ihrer Körperbezogenheit immer wieder als zentrales Experimentierfeld im Bereich des Möbeldesigns gedient haben: Den Designern ging es vor allem darum, einen spielerischen Umgang mit den Dingen zu vermitteln und neue Positionen und Haltungen durchzusetzen, die sich gegen überkommene Einstellungen richteten. Vor allem in der Zeit um 1968 wurde der affirmativen Kultur des Bürgertums mit neuen Möbelformen der Kampf angesagt: Die fantasievollen Sitzgelegenheiten forderten neue Gebrauchsweisen heraus – entspannte Sitzpositionen und provokante Posen, die bislang nicht in das gesellschaftliche Repertoire gehörten.
Es galt herauszufinden, auf welch vielfältige Weise die neuen, flexiblen Möbel zu verwenden waren und was jenseits alteingesessener Gewohnheiten mit ihnen – und durch sie – möglich war. Der berühmte «Sacco» von Piero Gatti, Cesare Paolini und Franco Teodoro gilt als überzeugendster Prototyp dieser Entwicklung zu mehr Mobilität und Flexibilität im häuslichen Lebensbereich. Als leichtes, bewegliches und erschwingliches Möbelstück traf der Sitzsack 1968 den Nerv der Zeit und wurde mit den Jahren aufgrund seiner besonderen Flexibilität und Verformbarkeit zu einer Ikone der Pop Art. Als Hommage an den Design-Klassiker haben ihn Ron Arad, Karim Rashid, aber auch das Schweizer Designtrio Big Game zum Ausgangspunkt jeweils eigener Entwürfe genommen.
Publikation zur Ausstellung: «Formlose Möbel». Peter Noever (Hg.), Konzept und Text von Sebastian Hackenschmidt und Dietmar Rübel. D/E, 136 S., ca. 80 farbige Abbildungen, MAK Wien/Hatje Cantz, Ostfildern 2008, CHF 42 / EUR 25
Öffnungszeiten: Di bis Do 10 – 20 Uhr, Fr bis So 10 – 17 Uhr, Montag geschlossen
Formlose Möbel
11. November 2009 bis 14. Februar 2010
Vernissage: Di 10. November 09, 19 Uhr
Museum für Gestaltung Zürich
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