Jean Tinguely und Christoph Gloor, Entwürfe und Brief zur Vorbereitung von Kostümen und Larven für den Kuttlebutzer-Zug 1988. Mit Filzstift, Gouache, Aquarell und Collage überarbeitete Fotokopie, 29,8 x 21 cm; Museum Tinguely, Basel. © 2010, ProLitteris Z
Basel.- Die Basler Fasnacht hat ihre heutige Form im Laufe der rund einhundert letzten Jahre gefunden. Pfeifer, Tambouren, Tambourmajor, Vortrab, Vorreiter, Chaise, Guggenmusiken, Wagencliquen. Diese Bestandteile gab es zwar früher schon im 19. Jahrhundert, doch ihre heutige Kombination und die Sujetfasnacht sind Dinge, die sich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts herausgebildet haben – in der Zeit also, seit das Fasnachts-Comité existiert und der Fasnacht einen gewissen organisatorischen Rahmen gegeben hat. Zu dessen 100. Geburtstag organisiert das Museum Tinguely eine als Hommage gedachte Ausstellung, welche "die Kunst" der Fasnacht zum Thema hat.Sie Läuft bis 16. Mai.
An der Entwicklung der Fasnacht und vor allem an der grossen Gewichtung alljährlich wechselnder Sujets, mit denen politische, gesellschaftliche oder kulturelle Ereignisse kommentiert wurden, hatten verschiedene Künstler grossen, ja entscheidenden Anteil. Die Umsetzung der – für Aussenstehende oft relativ abstrakt anmutenden – Sujets wurde häufig von bildenden Künstlern und von graphischen Gestaltern besorgt, die Kostüme und Larven entwarfen und damit dem "Zug" ein Gesicht gaben, gemäss den Wünschen und Vorstellungen der Sujetkommissionen. Das eigentliche Prunkstück eines Zuges und damit auch die Paradedisziplin der Fasnachtskunst war und ist allerdings die Laterne, eine etwa zwei bis drei Meter hohe, mit Leinwand bespannte, mit transparenten Farben bemalte und nachts von innen beleuchtete, getragene oder auf einem Wagen mitgezogene Lampe, die das Sujet bildlich umsetzt. Die "Lampe" ist denn auch das Feld, in dem sich die Fasnachtskunst und ihre Entwicklung am deutlichsten manifestiert.
Die ersten Laternen dienten Mitte des 19. Jahrhunderts als Beleuchtungskörper, die am Morgenstreich anstelle der ab 1845 verbotenen offenen Fackeln eingesetzt wurden. Von Beginn an wurden diese Laternen (die mit Papier bezogen waren) bemalt oder gezeichnet. Diese Laternen wurden aber ausschliesslich am Morgenstreich mitgetragen, am Fasnachts-Nachmittag fehlen sie in den Darstellungen der Züge. Erst im Laufe der Sechziger Jahre wurden auch an den Nachmittagen (im Quodlibet-Zug etwa ab 1864) Laternen mitgetragen. Der Maler der Weltkugel-Laterne des Jahres 1866 ist als einer der Ersten auch namentlich bekannt: Es war der Künstler Samuel Baur, Maler und Dekorationsmaler, der bereits seit einigen Jahren engagiert an der Fasnacht und ihrer Gestaltung mittat. In Zeichnungen von Niclaus Strübin und anderen sind Laternen dieser Zeit überliefert. Ab 1870 erschienen Bilderbogen, die die jeweiligen Laternen des Jahres dokumentierten und damit der Nachwelt erhielten. Die Dokumentation der Fasnacht wurde von Künstlern wie Hieronymus Hess, den bereits erwähnten Strübin und Baur oder dem Lithographen Karl Jauslin besorgt. Namen der Laternenkünstler selbst sind – mit Ausnahme von Samuel Baur – nicht überliefert.
Als erste bedeutende Laternenkünstler werden zwischen 1900 und 1905 für die VKB Carl Roschet und für die Lälli Louis Dischler genannt. Erst nach dem ersten Weltkrieg aber manifestierte sich ein neues, breites Interesse an der Laternenmalkunst. Dies war der Beginn einer Entwicklung, die auch heute noch nicht abgeschlossen ist, und die von so namhaften Künstlern getragen wurde wie Niklaus Stoecklin, Alexander Zschokke, Charles Hindenlang, Burkhard Mangold, Otto Plattner, Fritz Baumann, Paul Wilde, Max Haufler, Theo Eble und später von Max Sulzbachner, Hans Stocker, Theo Ballmer, Jean Willi, Wolf Barth, Kurt Pauletto, Werner Ritter, Hans Weidmann, Max Wilke, Samuel Buri, Elisabeth Thommen, Valerie Heussler, Britta Grob und künstlerische Graphiker wie Ferdi Afflerbach, Paul Rudin, Arthur Rudin, Ernst Rudin, Theo Ballmer, Robert Hiltbrand, Hanspeter Hort, Fredy Prack, Christoph Gloor, Werner Nänny, Hanspeter Sommer, Rolf Vogt, Werner Kern. In neuerer Zeit haben sich Künstler wie Roland Gazzotti, Lorenz Grieder, Oliver Mayer, Domo Löw, Walter Lienert oder Pascal Kotmann hervorgetan. Diese Liste ist natürlich weder gewichtet und schon gar nicht vollständig!
Ab 1921 wurden die Laternen (die alljährlich am Fasnachtsdienstag in einem Schulhaushof, später in der Mustermesse und heute auf dem Münsterplatz aufgestellt wurden) in der National-Zeitung besprochen, die Namen der Maler wurden dabei (entgegen dem herrschenden Anonymitätsbrauch an der Fasnacht) jeweils genannt.
Die Einbindung vieler Künstler in die Fasnachtsvorbereitungen brachte eine baslerische Bildgattung – "dr Fasnachtshelge" – hervor. Zwischen Kitsch und Sentimentalität oszillierend, entstanden Unmengen von Zeichnungen, Ölbildern und Lithografien zum Thema Fasnacht, deren künstlerischer Wert oft gegen null tendierte, die aber das Bild der Fasnacht gegen aussen (und unter dem Jahr in den Haushalten vieler Fasnächtler) prägten. Diesen "Post-Produktionen" werden in der Ausstellung im Museum Tinguely die Laternenbilder vorgezogen, die den künstlerischen Esprit der Fasnacht sicher am unmittelbarsten verkörpern. Die Auswahl von etwa 20 Laternenseiten aus den letzten hundert Jahren zeigt die Kraft, die in diesen ephemeren Bildern steckt, demonstriert die ungeheure Entwicklung, die die Laternenmalerei erlebt hat, und sie ist Ausdruck für den gestalterischen Willen, der den Createuren der Fasnachtszüge eigen ist. Dass auch diese Ausstellung nur Auswahl, nur Teil eines viel grösseren, umfassenderen Ganzen ist, versteht sich von selbst. "Alles" wird dann zumal im Fasnachtsmuseum präsentiert werden…
Der Einbezug von Künstlern brachte wenige, aber namhafte Künstler dazu, sich künstlerisch mit der Fasnacht auseinander zu setzen. Die zwei bedeutendsten Beiträge stammen sicher von Jean Tinguely und Joseph Beuys. Beuys schenkte 1979 die "Feuerstätte II" dem Kunstmuseum Basel. Diese Installation war im Anschluss an die Fasnacht entstanden, bei der die Alti Richtig den Ankauf von Beuys’ "The Hearth" (Feuerstätte) persiflierte. Der Künstler, durch den Zug und die Umsetzung des Themas offenbar angesprochen, verbrachte nicht nur die Fasnacht in Basel, sondern schuf mit der Fasnachtsclique gemeinsam aus den Requisiten und Kostümen des Zuges seine "Feuerstätte II".
Jean Tinguely wiederum, der seit Beginn der siebziger Jahre mit den Kuttlebutzer Fasnacht machte, kreierte einerseits Züge für seine Clique, und andererseits verarbeitete er mehrfach Fasnachtslarven in Skulpturen. L’Avant-Garde, 1988, steht hier als direkte Verarbeitung fasnächtlicher Eindrücke sicher im Zentrum, andere Skulpturen wie das Autoportrait im Centre Pompidou, Paris oder der Fasnachtsbrunnen in Basel dokumentieren sein grosses Interesse an der Fasnacht als Mummenschanz und Totentanz.
Der Blick der Fasnacht auf die Kunst, und der Künstlerinnen und Künstler auf die Fasnacht spiegelt vielleicht auch die Offenheit wieder, mit der die Stadt immer wieder auf neuere künstlerische Entwicklungen reagieren konnte. Gerade der Spott oder die Ironie mag manchen die Annäherung an Neues und Unbekanntes erleichtert haben. Auf dieser Basis sind "Fasnacht & Kunst & Tinguely" alte Bekannte, die in der Ausstellung im Museum Tinguely wieder einmal gewürdigt werden.
Fasnacht & Kunst & Tinguely
2. Februar bis 16. Mai 2010
Museum Tinguely
Paul Sacher-Anlage 1
CH - 4002 Basel
0041 (0)61 68193-20
infos@tinguely.ch
http://www.tinguely.ch
Öffnungszeiten:
Di bis So 11 – 19 Uhr
Montag geschlossen