Zürich.- Ein Schiff kommt an im Zürcher Schiffbau: Sein bekanntester Passagier ist Karl Rossmann, „der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte“. Er ist „Der Verschollene“, wie Franz Kafka seinen ersten, unvollendeten Roman von 1914 betiteln wollte, bevor Max Brod AMERIKA durchsetzte. Frank Castorf, der in der vergangenen Spielzeit „Die schwarze Spinne. Pilatus’ Traum“ im Pfauen inszenierte, bearbeitet das Werk neu für die Bühne.Bitte beachten Sie: Da sich der Regisseur einer akuten Augenoperation unterziehen musste, ist die Premiere vom 14. auf den 18. April verschoben worden.
„Als der siebzehnjährige Karl Rossmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er die schon längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht. Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor, und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte.“ So beginnt Kafkas Roman AMERIKA.
Mit nichts in der Hand und seines Koffers ledig beginnt für Karl Rossmann ein neues Leben. Sein Existenzrecht als Sohn hat er verwirkt, weil Alimentezahlung und Schande aus Sicht der Eltern vermieden werden müssen, als Vater, der er praktisch durch Samenraub geworden war, bleibt er ohne Identität. Er ist „Der Verschollene“, wie Franz Kafka seinen Roman gemäss einer Briefnotiz betiteln wollte. Sein Freund, Nachlass- verwalter und Herausgeber Max Brod setzte indes als Titel AMERIKA durch und dramatisierte später selbst die Uraufführung – 1957 im Pfauen!
Geschrieben zwischen 1911 und 1914, ist AMERIKA der erste der drei Romane Franz Kafkas und blieb unvollendet – die Geschichte sei „ins Endlose angelegt“, schrieb Kafka bedauernd an Felice Bauer. Anders als der verleumdete Josef K. in „Der Prozess“ und der Landvermesser K. in „Das Schloss“ begibt sich K. Rossmann auf verhältnismässig reales Terrain: In den Vereinigten Staaten von Nordamerika sucht er seine berufliche und soziale Chance. Dass sich diese Suche als chaplineske Kette von Missgeschicken und Rückschlägen beschreiben liesse, ändert nichts am naiven, beflissenen Streben der Hauptfigur nach Gerechtigkeit und Anstand. Einen „modernen Sisyphus, der ewig den Felsen der Zugehö- rigkeit vergeblich wälzt“, nannte ihn Camus; dass Karl Rossmann zu guter Letzt in einem absurden, metaphysischen „Naturtheater von Oklahoma“ aufgenommen wird („Jeder ist willkommen!“), wirkt wie ein aufgeklebtes Trostpflaster.
Frank Castorf ist einer der international einflussreichsten Theater- regisseure. Die von ihm seit 1992 geleitete Volksbühne am Rosa- Luxemburg-Platz in Berlin war der erfolgreichste Neubeginn eines Schau- spielhauses in Deutschland nach der Wende. Aufgewachsen in Ost-Berlin und als junger Regisseur in die DDR-Provinz verbannt, hatte Castorf bald nach dem Mauerfall auch erste Berührungspunkte mit der Schweiz. In Basel inszenierte er „Wilhelm Tell“ (1991), in Zürich „Berlin Alexanderplatz“ (2001) und „Trauer muss Elektra tragen“ (2003) sowie in der Spielzeit 2009/10 „Der Hofmeister“ von Jakob Michael Reinhold Lenz und in der Spielzeit 2010/11 „Die schwarze Spinne. Pilatus‘ Traum“.
AMERIKA
nach dem Roman von Franz Kafka
Regie: Frank Castorf
NEUER PREMIERENTERMIN: Mittwoch, 18.4.2012, 19 Uhr,
Schiffbau/Halle
Regie Frank Castorf, Bühne Aleksandar Denic, Kostüme Adriana Braga Peretzki, Licht Frank Bittermann, Video/Live-Kamera Andreas Deinert, Dramaturgie Roland Koberg, Mit: Margit Bendokat, Gottfried Breitfuss, Patrick Güldenberg, Marc Hosemann, Robert Hunger-Bühler, Irina Kastrinidis, Sean McDonagh, Siggi Schwientek, Lilith Stangenberg.
Weitere Vorstellungen im Schiffbau/Halle:
23./ 24./ 30. April, jeweils 19 Uhr
22./ 29. April, jeweils 18 Uhr
3./ 4. Mai, jeweils 19 Uhr
Schauspielhaus Zürich/Pfauen
Rämistrasse 34
CH 8001 Zürich
0041 (0) 44 258 77 77
www.schauspielhaus.ch
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