Montag, 24. Januar 2011
In Weltzeit
Basel.- In der Kunsthalle Basel ist bis 13. März 2011 die erste Einzelausstellung in der Schweiz der in Berlin lebenden deutsch-iranischen Künstlerin Bettina Pousttchi zu sehen. Sie trägt den Titel «World Time Clock» und ist auch die erste umfassende institutionelle Präsentation ihres vielseitigen Oeuvres. Pousttchi, die 1971 in Mainz, Deutschland, geboren wurde, hat in der letzten Zeit gebührende Aufmerksamkeit für ihre grossformatige ortsspezifische Fotoarbeit «Echo» (2009/10) erhalten. Für dieses Projekt wurden die vier Aussenwände der Temporären Kunsthalle Berlin, die 2008 von Adolf Krischanitz entworfen wurde und im historischen Zentrum von Berlin lag, mit einer digital bearbeiteten Collage aus Archivbildern der Glas- und Stahlfassade des nahe gelegenen Palasts der Republik bedeckt.
Dieser Meilenstein des späten osteuropäischen Modernismus wurde von Heinz Graffunder entworfen und 1976 fertig gestellt. Er diente als Sitz der Volkskammer, des Parlaments der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Pousttchis verkleinerte, digital bearbeitete Schwarzweiss-Abbildung des Palasts ersetzte vorübergehend die perfekte Neutralität des White Cubes der Temporären Kunsthalle. In diesem «Kampf der falschen Fassaden», wie es die Künstlerin einmal ausdrückte, fanden die Kunsthalle und der Palast sowie Pousttchis eigene Arbeit, die zwischen den beiden vermittelte, ihr unausweichliches Ende. Echo wurde pünktlich nach der auf sechs Monate begrenzten Präsentation entfernt. Der Palast der Republik wurde derweil 2009 abgebrochen, um Platz zu schaffen für die geplante Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses aus dem 18. Jahrhundert. Ein Grossteil der demontierten Stahlträger des Palasts wurde in die Vereinigten Arabischen Emirate verkauft und bei der Konstruktion des Burj Khalifa in Dubai eingesetzt – mit 828 Metern das höchste Gebäude der Welt. Die Temporäre Kunsthalle wurde im August 2010 plangemäss geschlossen.
«Sculpture Project Echo» (2009) ist eine Serie von vierundzwanzig Farbfotografien, die im Lauf der sechsmonatigen Präsentation von Echo entstanden ist, und welche ein vielschichtiges Porträt der ausdrucksstarken Beständigkeit dieser schwarzweissen Fotoinstallation inmitten der ikonischen Bauten wiedergibt, die sie umgeben. Zu diesen gehören der Berliner Dom, die Alte Nationalgalerie, der zu DDR-Zeiten erbaute Fernsehturm – mit 368 Metern das höchste Gebäude Deutschlands – die aufgedeckten Fundamente des ursprünglichen Berliner Stadtschlosses. Eingebettet zwischen den architektonischen Monumenten, die Pousttchis Farbfotos bevölkern, sind Werbebanner als Fassadensimulationen zukünftiger Gebäude auszumachen, darunter ein gigantisches Rendering der geplanten Rekonstruktion der Fassade der Schinkelschen Bauakademie. Sechs Fotografien von Sculpture Project Echo sind in der Kunsthalle ausgestellt.
Ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist Pousttchis neue Videoarbeit «Conversations in the Studio 3» (2010), die als metaphorische Klammer für die unterschiedlichen Motive dient, welche in der Kunsthalle zusammenkommen. Das Video entstand in zwei Schritten: Als Erstes nahm Pousttchi eine Unterhaltung mit dem französischen Konzeptkünstler Daniel Buren (geboren 1938) auf, der in den späten 1960er Jahren anfing, in situ zu leben und zu arbeiten. Er gab die konventionellen Formen der Kunstpräsentation auf und versuchte, sich mittels Markierungen an verschiedenen privaten und öffentlichen Räumen den Beschränkungen institutionalisierter Kunsträume zu entziehen. In seinen wegweisenden Essays (wie beispielsweise The Function of the Studio, 1970) übt Buren harsche Kritik an der kompromittierten und starren Position des Künstlers innerhalb des Kunstsystems aus, in welchem das Atelier eine fundamentale strategische Rolle spielte: die eines Unterschlupfs ebenso wie die eines privilegierten Orts, an dem die Arbeit produziert und zum ersten Mal ausgestellt wird. Entsprechend berührt das ungezwungene Gespräch zwischen Pousttchi und Buren viele Dimensionen der vermeintlichen Öffentlichkeit von Kunst im öffentlichen Raum – und ihrer Beschränkungen.
Der zweite Teil des Videos wurde in der Atelierwohnung des polnischen Künstlers Edward Krasinski (1925–2004) in Warschau realisiert, dessen Ausstellung 1996 in der Kunsthalle Basel stattfand. In ähnlicher Manier und in Verwandtschaft zu den für Buren typischen vertikalen Streifen auf Stoff, entschied sich Krasinski 1969 durch den Einsatz eines «blauen Klebebandstreifens», der auf einer Höhe von 130 cm horizontal auf Wände, Objekte und Kunstwerke geklebt wurde, jegliche gestische Qualität in seinen Arbeiten zu negieren. Sechs Jahre später führte Buren 1975 seine eigene Arbeit in situ auf den Fenstern von Krasinskis Atelierwohnung aus – genau auf der Membran zwischen dem Atelier (auf dem Dach eines Wohnblocks im Zentrum von Warschau) und der «Situation» der sirrenden Stadt darum herum.
Pousttchi projizierte für Conversations in the Studio 3 schliesslich ihre Unterhaltung mit Buren auf Wände und Möbeloberflächen in Krasinskis Atelier, wodurch sie den Ort mit ihrer dialogischen Videoarbeit belebte. Ihre Projektion baute auch buchstäblich auf die Anwesenheit der vielen Schwarzweiss-Fotografien auf, die Krasinski an die Wände und Gegenstände seines Ateliers gehängt hatte und die Räume und Objekte verdoppelte und spiegelte. Mit kleinen «Foto-Souvenirs» zum Gedenken an Besucher und Installationen von Arbeiten in höchst unerwarteten Winkeln und Ecken, wurde Krasinksis Atelier über viele Jahre hinweg zum echten Lebens- und Arbeitsplatz. Pousttchi schrieb sich mit dieser filmischen Untersuchung, wenngleich nur temporär, in die heute beständige Form des sich einst andauernd verändernden Ateliers ein. Die Gespräche im Atelier (Conversations in the Studio 3) mit ihren drei Protagonisten, den Künstlern Buren, Pousttchi und Krasinski, erinnern in einer – reale Zeit- und Raumverhältnisse überwindenden – Diskussion über die «Funktion des Ateliers» an Echo. Insofern als diese Arbeit als Versuch der Inszenierung eines Gesprächs – oder eines heftigen Disputs – zwischen drei distinkten Gebäuden betrachtet werden kann.
Am Anfang und am Ende der Ausstellung im Erdgeschoss der Kunsthalle sind zwei Installationen von skulpturalen Arbeiten zu sehen, die Absperrgitter verwenden; jene Teile von öffentlichen Infrastrukturen, welche dazu entworfen wurden, öffentliche Versammlungen, wie jubelnde Mengen oder Demonstrationen, auszurichten. Für die weiss gestrichene vertikale Gruppe der «Double Monuments for Flavin and Tatlin» (2010) sind die Stahlabsperrungen gedreht und aufeinander gesetzt worden, um zu Strukturen zu werden, die an das wegweisende Monument der Dritten Internationale erinnern. 1920 von Vladimir Tatlin (1885–1953) zur Erinnerung an die Russische Revolution entworfen, wurde der spiralförmige 400 Meter hohe Turm nur als Modell ausgeführt und 1925 in der Weltausstellung in Paris präsentiert.
Dan Flavin zitierte Tatlins Monument für die vereinten Kräfte der Revolution in den 39 Skulpturen seiner Serie «monuments to V. Tatlin (1964–1990)», für die er Leuchtstoffröhren in Formen anordnete, die zwischen Pyramiden und frühen Hochhäusern variierten. Auf findige und humorvolle Weise erweist Pousttchi den Meistern des Konstruktivismus, beziehungsweise des Minimalismus die Ehre – oder inszeniert vielleicht wiederum einen Kampf, Tatlin gegen Flavin, indem sie die Stahlstrukturen ihrer Double Monuments mit Leuchtstoffröhren durchsticht. In einer anderen Werkgruppe, «Blackout» (2007–2010), gibt es fünf Skulpturen aus schwarz gefärbten Absperrgittern, die auf weissen Sockeln zusammenzubrechen scheinen, als machten sie sich über die modernistischen halb-abstrakten «liegenden Frauen» (bei Rodin, Moore, Picasso u. a.) lustig, welche die Skulpturengärten von Museen für moderne Kunst auf der ganzen Welt bevölkern.
Titelgebend für die Ausstellung in der Kunsthalle war Pousttchis fortlaufendes «Projekt World Time» (2008–), für welches sie Uhren an öffentlichen Gebäuden in verschiedenen Städten auf der ganzen Welt fotografierte, die in unterschiedlichen Zeitzonen liegen – bisher umfasst die Serie Shanghai, Istanbul, London, New York, Basel und Warschau. Die Uhren zeigen immer dieselbe Zeit, fünf Minuten vor zwei, und setzen so die entfernten Orte durch die Übereinstimmung einer einheitlichen globalen Zeit miteinander gleich. Auch in ihrer Echo-Installation verwendete Pousttchi auf der westlichen und auf der östlichen Seite zwei Bilder von Uhren, die eine zeigte fünf vor eins, die andere fünf vor zwei. Darüber hinaus versetzte sie in der öffentlichen Arbeit «Basel Time» (2010) das bearbeitete Bild der grossen Uhr von der Fassade der Halle 2 der Basler Messe (entworfen 1953) auf die Fassade der Halle 1 (entworfen 1926), welche für das neue Projekt von Herzog & de Meuron abgerissen werden wird.
Ein ähnliches Interesse an der Beobachtung einer kurzen Zeitspanne und an der Betonung des Unterschieds zwischen der realen Zeit und der Zeit der Aufnahme zeigt sich in den Fotografien, die aus der Reihe The Hetley Suite (2008) ausgesucht wurden. Zwei frühere Videoarbeiten in der Ausstellung, «Ocularis» (1999) und «Double Empire» (2000), erweitern den Begriff der Parallaxe (Abweichung) – vom Phänomen, das mit dem räumlichen Sehen verbunden wird, bis zur Verdopplung und Zerlegung des filmischen Subjekts. Ocularis ist die langsame Entwicklung von einer roten mondartigen Form, welche die gesamte Projektionsfläche ausfüllt, zu dem fast technischen Abbild eines binokularen Mikroskops – während wir den Blutstropfen aus den Augen verlieren, wird das Betrachtungsgerät selbst zum Gegenstand unser Beobachtung gemacht. In ungefähr derselben Länge von 2.43 Minuten zeigt Double Empire das Empire State Building – den titelgebenden Hauptdarsteller aus Andy Warhols achtstündigem Filmklassiker.
Das Video ist auf den scheinbar endlosen freien Fall entlang einer Abfolge hell erleuchteter Fenster und dunkler Gebäudeabschnitte reduziert. Erst als die Kamera am Ende des Films die hohe Spitze erreicht, stellt sich die Reise nach unten als eine Fahrt nach oben heraus. Diese zwei kurzen Epen dienen als Koda zu der gesamten Ausstellung, indem sie die Themen, die in den anderen Arbeiten angelegt sind, wiederholen. Bettina Pousttchis World Time Clock ist der Versuch, etwas aus der inneren Organisation der heutigen Welt zu fassen, in der die Realität durch ein System austauschbarer Erscheinungen ersetzt worden ist, welche von der «universalen Uhr» der globalen Wirtschaft beherrscht werden.
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr 11.00 – 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 – 20.30 Uhr, Sa und So 11.00 – 17.00 Uhr
Bettina Pousttchi – World Time Clock
bis 13. März 2011
Kunsthalle Basel
Steinenberg 7
CH - 4051 Basel
0041 (0)61 20699-00
info@kunsthallebasel.ch
www.kunsthallebasel.ch
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