Zürich.- In Jeremias Gotthelfs Novelle von 1842 führt eine harmlos bei einem Tauffest gestellte Frage nach der Beschaffenheit eines Fensterpfostens tief hinein in die unheimliche Sagen-Welt der SCHWARZEN SPINNE. Dort, im finsteren Mittelalter, beherrschen die Kirche und die Kreuzritter das Land. Von den Kreuzrittern schlägt Regisseur Frank Castorf für das Schauspielhaus Zürich in DIE SCHWARZE SPINNE. PILATUS’ TRAUM ab dem 20. Januar im Pfauen einen dramaturgischen Bogen zur Kreuzigungsgeschichte und Michail Bulgakows Meisterwerk „Der Meister und Margarita“: Jesu Verurteilung durch Pontius Pilatus erscheint darin als gespenstischer Politkrimi. Pilatus, ein von der Provinz entnervter Statthalter, ist in geheimdienstliche Vorgänge verstrickt; seine Hände in Unschuld zu waschen, lindert weder seinen Kopfnoch seinen Weltschmerz …
In Jeremias Gotthelfs’ DIE SCHWARZE SPINNE bricht Grossvater sein Schweigen: Einer aufgekratzten Taufgesellschaft, die gerade glücklich einem Eklat entgangen ist (die Gotte hatte den Namen des Täuflings vergessen!), erzählt er die Geschichte zu jenem schwarzen Fensterpfosten, der an seinem Emmentaler Bauernhaus so sehr ins Auge fällt. Es ist die Geschichte eines Teufelspakts, den im 13. Jahrhundert die von einem deutschen Ritterorden gequälten Dorfbewohner geschlossen haben. Angestiftet von der wilden Christine aus Lindau, die sich durch Heirat ins Dorf eingeschlichen hat, versuchen sie ihre Haut zu retten, indem sie ein Neugeborenes aus ihren Reihen opfern. Aber das Böse wirkt dadurch nur noch entsetzlicher. Eine veränderliche schwarze Spinne fällt der Pest gleich über Vieh und Menschen her. Erst durch die fromme Tat einer jungen Mutter kann die Spinne im Loch des Fensterpfostens gebannt werden – vorläufig.
Um Teufel, Kreuz und Opfer geht es auch im postum erschienenen Roman „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow (1891–1940). Im Moskau der 30er-Jahre mischt sich ein geheimnisvoller Fremder, nach eigenen Angaben ein Professor der Schwarzen Magie, in die Nihilismusdebatte zweier Schriftsteller ein. Seine Aufschneidereien – etwa, dass er beim Verhör Jesu dabei gewesen sei – und Prophezeiungen erweisen sich alsbald als wahr, das durch Korruption und Heuchelei verseuchte Moskau wird heimgesucht … Nur der Meister, ein junger Lyriker, darf am Ende Margarita finden, seine grosse Liebe.
Regisseur Frank Castorf – an der von ihm geleiteten Volksbühne in Berlin hat er neben den Romanen Dostojewskis auch Bulgakow bereits für die Bühne bearbeitet – schliesst in seiner neuen Zürcher Arbeit DIE SCHWARZE SPINNE. PILATUS’ TRAUM beide Werke miteinander kurz: von der Schwarzen Spinne zur Schwarzen Magie; von Gotthelfs Teufel im Jägerkostüm, der die Dorfgemeinschaft in Versuchung führt, zu Bulgakows als Tourist verkleidetem Teufel, der Moskau mit seinen Streichen ins Chaos stürzt; von den Kreuzrittern, die im Emmental ihr Unwesen treiben, zur Kreuzigungsgeschichte in Jerusalem bzw. Jerschalaim, wie die Stadt verfremdend bei Bulgakow heisst; vom deutschen Komtur Hans von Stoffeln, der aus verletztem Stolz die Einheimischen verhöhnt und quält, zum römischen Protektor Pilatus, der am äussersten Rande des Kaiserreichs, müde vom grassierenden Fanatismus, sich nach Hause sehnt – und von einer Spinne auf einem Ritterhelm träumt …
Frank Castorf ist einer der international einflussreichsten Theater regisseure. Die von ihm seit 1992 geleitete Volksbühne am RosaLuxemburg-Platz in Berlin war der erfolgreichste Neubeginn eines Schauspielhauses in Deutschland nach der Wende. Aufgewachsen in OstBerlin und als junger Regisseur in die DDR-Provinz verbannt, hatte Castorf bald nach dem Mauerfall auch erste Berührungspunkte mit der Schweiz. In Basel inszenierte er „Wilhelm Tell“ (1991), in Zürich „Berlin Alexanderplatz“ (2001) und „Trauer muss Elektra tragen“ (2003) sowie in der vergangenen Spielzeit „Der Hofmeister“ von Jakob Michael Reinhold Lenz.
DIE SCHWARZE SPINNE. PILATUS’ TRAUM
nach Jeremias Gotthelf / Michail Bulgakow
Premiere: Donnerstag, 20.1.2011, 20 Uhr, Pfauen, Zürich
Regie Frank Castorf
Bühnenbild Hartmut Meyer
Kostüme Jana Findeklee, Joki Tewes
Licht Frank Bittermann
Dramaturgie Roland Koberg
Mit: Franz Beil, Gottfried Breitfuss, Ursula Doll, Marc Hosemann, Irina Kastrinidis, Niklas Kohrt, Julia Kreusch, Aurel Manthei, Hans Schenker, Siggi Schwientek.
Weitere Vorstellungen im Pfauen:
20./ 21./ 27. Januar, jeweils 20 Uhr
23. Januar, 15 Uhr
1./ 9./ 16./ 17./ 18./ 22. Februar, jeweils 20 Uhr
weitere Vorstellungen sind in Planung
www.schauspielhaus.ch
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