Freitag, 11. September 2009

Vieles ante portas

Freiburg.- Salome fordert den Kopf des Täufers, Hanib Ali ist ante portas, die Buddenbrooks auch. Orestes heiratet seine Mutter, es geht um die Aristik der Selbstaufblähung - und mehr. Jede Menge Premieren bietet das Theater Freiburg in der neuen Saison. Und das alles natürlich mit Bezügen. Beleuchten wir doch einmal einige.

Was treibt Salome, Jochanaan – ohnehin schon macht- und wehrlos in Gefangenschaft – in den Tod zu schicken? Er hat ihr seine Aufmerksamkeit verweigert, und das scheint in der hier dargestellten Welt die größte Demütigung für alle Figuren zu sein, die sich nur noch über einen extrovertierten Egoismus formulieren können. Wird der nicht bedient, folgt unweigerlich die Strafe durch den Tod. Oder durch Totschweigen. Was Richard Strauss 1905, die Vorlage Oscar Wildes aufnehmend, suggestiv in den Klangrausch des Fin de Siècle versetzt, lässt die biblische Vorlage um die Ereignisse Salomes und Johannes des Täufers am Hofe von Herodes zu einem beeindruckenden Sittengemälde des beginnenden 20. Jahrhunderts werden und öffnet den Blick auf eine bedrohliche Zukunft: Zeitenwenden, Umwälzungen auf religiöser, kultureller, politischer Ebene scheinen zu drohen und veranlassen die Menschen, monomanisch und machtlüstern zu solitären Einzelkämpfern zu werden. Trotzdem wird sie kommen, die neue Zeit. Unaufhaltsam.

Und was ist mit den Blähkünstlern? Es wimmelt nur so von Hochstaplern, Falschspielern, Spekulanten, Trickbetrügern: Die Produktion handelt von kleinen Unwahrheiten und großen Lebenslügen, von Fremdtäuschung und Selbstbetrug. Das Phänomen kennen wir von Geschehnissen aus Wirtschaft, Politik und Sport. Wenn innere Werte und äußere Anerkennung irgendwie falsch gekoppelt sind, wird Hochstapelei zum erfolgversprechenden Verhaltensmuster, der Einzelne getrieben von dem Bedürfnis, Bedeutung zu haben, die das Ich übersteigt. Spekulanten im Nullenrausch. Am Ende ist der Hochstapler bankrott, alle Strategie und Taktik dahin, alle Tarnungen aufgeflogen, er ist allein, lächerlich und bemitleidenswert wie ein Clown, nur ohne Publikum.

Theater kann also noch Hoffnung bringen.

Vielleicht auch für Hanib Ali. Und natürlich ist der Name Programm: Der Afrikaner Hannibal kam einst von Karthago nach Europa. Er überquert mehr als 200 Jahre vor Christus die Meerenge von Gibraltar und verbringt sechzehn Jahre in der Fremde: provisorisch in Lagern, mit Heer und Gefolge, immer unterwegs, von einer Schlacht zur nächsten. Getrieben von Neugier und Furchtlosigkeit gibt Hannibal in seinem Pioniergang eine geografische Richtung vor, für die sich heute unzählige Afrikaner entscheiden. Täglich erreichen ca. 1000 Menschen auf illegalem Weg unseren Kontinent. Wer tatsächlich ankommt, sieht sich mit einem Europa konfrontiert, das die Flüchtlinge so schnell wie möglich wieder loszuwerden versucht. Der Regisseur und Autor Bülent Kullukcu nimmt die historische und literarische Figur des Hannibal als Vorlage, um gemeinsam mit Freiburger Afrikanern und zwei Schauspielern des Ensembles über heutige Migrationsgeschichten nachzudenken.


Die Premieren


PREMIERE SA. 3.10.09, 19.30 Uhr, Großes Haus
MATINEE SO. 27.09.09, 11 Uhr, Großes Haus
SALOME
Oper von Richard Strauss
Regie: Marcus Lobbes / Bühne: Pia Maria Mackert / Kostüme: Victoria Behr / Dramaturgie: Dominica Volkert, Friedrich Sprondel / Mit: Anja Jung, Sang Hee Kim, Suhyon Kim/Yulianna Vaydner, Sigrun Schell; Kyung-min Cha/Juri Mannschott, Peteris Eglitis/Neal Schwantes, Matthias Flohr, Roberto Gionfriddo/Gunnar Gudbjörnsson, Tatsuya Hasebe/Sung-Man Cho, Ulrich Himmelsbach/Jörg Golombek, Gary Jankowski, Jin Seok Lee, Lorenz Minth, Peter Hans Parsch/Volker Stief, Christian Voigt, Christoph Waltle, Jung-Nam Yoo


PREMIERE SA. 10.10.09, 19.30 Uhr, Großes Haus – Hinterbühne
MATINEE SO. 27.09.09, 11 Uhr, Großes Haus
BUDDENBROOKS
Schauspiel nach dem Roman von Thomas Mann
"Buddenbrooks" ist die Genealogie einer Kaufmannsfamilie über vier Generationen, die vom strahlenden Erfolg bis in die Auflösung der Firma und zugleich der Familie erzählt wird. "Buddenbrooks" ist unsere eigene Geschichte: Die scheinbar unauflösbare Verbindung von Arbeit, Leistung und Gesellschaftsfähigkeit bzw. menschlicher Würde. Wer erfolgreich ist, verdient das Leben. Wer anders leben muss oder will, hat es schwer, auch bei den Buddenbrooks. Vitale Gier verbindet sämtliche Familienmitglieder, Ernten und Ehen werden nach demselben Prinzip "gekauft" – und wieder verkauft. Thomas Manns literarische Analyse ist von allerhöchster Aktualität und bereitet durch ihre subtile Ironie großes Vergnügen. Wir gehen in dieser Inszenierung jedoch noch einen Schritt weiter und blicken aus einer utopischen postkapitalistischen Gesellschaft auf unsere bürgerlichen Kampfschauplätze.
Regie & Dramaturgie: Jarg Pataki & Viola Hasselberg / Bühne: Anna Börnsen / Kostüme: Margret Burneleit / Musik: Thomas Seher / Video: Philipp Hochleichter / Mit: Lena Drieschner, Bettina Grahs, Rebecca Klingenberg, Jennifer Lorenz; André Benndorff, Gabriel von Berlepsch, Matthias Breitenbach, Hendrik Heutmann, Ben Daniel Jöhnk, Ullo von Peinen, Andreas Helgi Schmid, Thomas Seher


PREMIERE FR. 2.10.09, 20 Uhr, Kleines Haus
MATINEE SO. 27.09.09, 11 Uhr, Großes Haus
ORESTIE
Schauspiel nach Aischylos

Seit zehn Jahren herrscht Krieg gegen Troja. Das öffentliche Leben ist in Lethargie erstarrt. Alle warten. Mit der ersehnten Rückkehr Agamemnons wiederbelebt sich die Eigendynamik der Blutrache, die wie ein Fluch auf dem Haus liegt: Der König opferte seine Tochter Iphigenie für den Feldzug. Für den Kindsmord nimmt jetzt seine Frau Klytaimnestra Rache. Sie ermordet ihn und etabliert mit ihrem Geliebten eine Tyrannis. Bis Orest, der Sohn des Hauses, zurückkehrt. Unterstützt von seiner Schwester Elektra, mordet er seine Mutter. Getrieben von ihren Rachegeistern, wendet er sich hilfesuchend an die Göttin Athene. Athene beruft ein Gericht ein. Erstmals in der von Götterwillkür bestimmten Antike werden die Bürger an der Abstimmung über das Schicksal des Schuldigen beteiligt: ein Aufbruch Richtung Demokratie. In diese ziehen die Bürger so schleichend und fremdgelenkt ein, wie sie aus der heutigen ausziehen.

Regie: Felicitas Brucker / Bühne: Frauke Löffel / Kostüme: Karen Simon / Musik: Errol Dizdar / Dramaturgie: Arved Schultze, Ruth Feindel / Mit: Anna Böger, Johanna Eiworth, Charlotte Müller; Martin Butzke, Mathias Lodd, Konrad Singer, Martin Weigel


PREMIERE SA. 17.10.09, 20 Uhr, Kleines Haus
MATINEE SO. 27.09.09, 11 Uhr, Großes Haus
HOCHSTAPLER & FALSCHSPIELER
Die Artistik der Selbstaufblähung – gespielt, getanzt, musiziert

Regie: Christoph Frick / Bühne & Kostüme: Clarissa Herbst / Musik: Martin Schütz, Tobias Schramm / Dramaturgie: Inga Schonlau, Patrick Wymann / Mit: Kate Harman, Uta Krause, Angelika Thiele; Nicola Fritzen, Philippe Nauer, Tobias Schramm, Martin Schütz, Dominique Rust, Michael Wolf

Eine Produktion von KLARA und Theater Freiburg/pvc Tanz Freiburg Heidelberg in Koproduktion mit Theaterspektakel Zürich, AUAWIRLEBEN Bern und Kaserne Basel.
Unterstützt durch: Fachausschuss Theater und Tanz BS/BL; Pro Helvetia; GGG Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige Basel; Göhner Stiftung; Stanley Thomas Johnson Stiftung


PREMIERE FR. 9.10.09, 20 Uhr, Kammerbühne
HANIB ALI ANTE PORTAS GERMANY
Teil 1: Afrikanische Wege nach Freiburg
Ensembleprojekt in zwei Teilen von Bülent Kullukcu

Regie: Bülent Kullukcu / Ausstattung: Moritz Jüdes / Musik: Pape Dieye
Dramaturgie: Carolin Hochleichter, Ruth Feindel / Mit: Vida Ampomah, Johanna Eiworth, Yocelyn Lang; Pape Dieye, Charles Kemajou, Martin Weigel


PREMIERE FR. 16.10.09, 20 Uhr, Kammerbühne
BRUDER BRUDER
Tanzstück von und mit Clint Lutes & Tommy Noonan

Blutsbrüder, Seelenverwandte, religiöse Brüder, Fußballbrüder – ob blutige oder geistige, die Bruderschaft ist eine Verbindung von immenser psychologischer wie gesellschaftlicher Kraft. Sie steht am Grunde großer politischer und sozialer Umwälzungen, genialer Erfindungen, literarischer Jahrhundertwerke, psychologischer Extremerfahrungen, sie kann Kriege aushalten und auslösen. Die beiden amerikanischen Tänzer Clint Lutes und Tommy Noonan loten die extremen Weiten und Tiefen brüderlicher Verhältnisse aus und treffen dabei auf den Keim der Leidenschaft.

Von und mit Clint Lutes & Tommy Noonan / Bühne & Kostüme: Moritz Müller

THEATER FREIBURG
Bertoldstraße 46
Postfach 15 69
79098 Freiburg


Kartenverkauf Theaterkasse
Telefon: 0761 201 28 53
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E-Mail: theaterkasse@theater.freiburg.de
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