Montag, 8. März 2010
Sigi von Koeding gestorben
Weil am Rhein/Basel. "Vom illegalen Graffitisprayer zum Künstler von Weltformat" stellte der Schweizer Fernsehmoderator Kurt Aeschbacher den Basler Künstler noch im Mai 2009 vor, der seit 2004 sein Atelier im Kesselhaus in Weil am Rhein bezogen hatte. Am 6. März ist er gestorben. 1968 wurde Sigi von Koeding in Basel als Sohn einer Schweizer Mutter und eines deutschen Vaters geboren. Er verbrachte einige Jahre seiner Kindheit auch in Haltingen. In den 80er-Jahren gehörte er in der Schweiz zu den Graffitikünstlern der ersten Stunde. "DARE to be different" war sein Slogan. Zugleich überzeugte er Partner und Galeristin durch seinen verlässlichen Lebensstil und eine klare Orientierung an Zielen und Ideen.
Noch im vergangenen Jahr kam er gemeinsam mit seinem Freund "Toast" in die Schlagzeilen, weil er für Gunther Sachs ein Schloss am Wörthersee künstlerisch gestaltete. Und noch im Dezember zeigte er vielen Besuchern beim Tag der offenen Ateliers im Kesselhaus Filme und Dokumente zu diesem Projekt, das seine Arbeiten auch in das Leipziger Kunstmuseum brachte. Dann wurde eine heimtückische Krankheit diagnostiziert. Alle ärztliche Kunst half nichts mehr. In der Nacht zum Sonntag ist Sigi von Koeding gestorben. Noch vor zwei Wochen haben seine Künstlerfreunde aus Weil am Rhein und dem internationalen Ausland wie Wolfgang Krell, Stefan Winterle, Patrick Luetzelschwab und viele Partner und Kollegen, die um ihren Freund bangten, ihm zu Ehren und zur moralischen Aufmunterung in Bern eine Wand besprayt. Auf internationalen Internet-Plattformen sind Erinnerungsbilder geschaltet. Sigi von Koeding, der mit seinem Künstlernamen "DARE" in der Welt der internationalen Graffitikunst auch als einer der wichtigsten Kunstvermittler tätig geworden ist und die Entwicklung dieser Kunstrichtung von der Straßenkunst zum angesagten Thema von Galerien und Kunsthäusern maßgeblich beeinflusst hat, wird eine Lücke hinterlassen, die nicht geschlossen werden kann. Als künstlerischer Leiter der carhartt-gallery hat er in den letzten Jahren programmatisch wie inhaltlich einen Kunstort geschaffen, der in dieser Form einzigartig ist.
"Handschrift ist für mich Ausdruck von Persönlichkeit" schrieb Sigi von Koeding auf seiner Homepage. "Buchstaben dienen deshalb nicht nur als Kommunikation eines Inhaltes, sondern spiegeln die Seele eines jeden Schreibers. Und das ist es was ich tue, ich „Schreibe“. Mein künstlerischer Ursprung liegt im „Writing“, in unserer Gesellschaft unter dem Begriff „Graffiti“ bekannt. Seit über 20 Jahren setze ich mich Intensiv und Aktiv mit der Schrift auseinander, habe diese in ihrer typografischen Grundform erlernt und für mich Autodidakt weiter entwickelt. Der Name DARE steht für das Pseudonym, welches ich mir anno 1986 auferlegt habe. Nach all den Jahren, wo ich meinen Namen auf die Wände dieser Welt geschrieben habe, ist es für mich die ehrlichste Art und Weise, diesen Namen heute auf Leinwand zu schreiben. So sind meine Bilder als geschriebene Selbstportraits zu sehen und wenn man daran glaubt, dass Handschrift Ausdruck von Persönlichkeit ist, so kann in jedem einzelnen Buchstaben Leben gefunden werden. Dieses Leben wiederum, bin ich. DARE! oder Sigi von Koeding."
1990 war er dann der erste Sprayer in der Schweiz, der den Schritt in die Selbständigkeit wagte. Nach seinem ersten Auftrag im Basler Medienhaus für den Fotografen Onorio Mansutti und der großen Wandgestaltung für die Gemeinde Münchenstein folgten die ersten Zeitungsberichte auf nationaler Ebene. Darauf folgten schon Titelstorys in Schweizer Medien, diverse Fernsehauftritte und Reportagen beim Schweizer Fernsehen. Schon in den späten achtziger Jahren reiste Sigi von Koeding quer durch Europa, um an großen Wandgestaltungen mit internationalen Graffitikünstlern teilzunehmen.
1991 sprayt er in der Galerie Littmann, Basel, zur Ausstellung „Drogen, Welt in Trance“. Diverse Arbeitsreisen nach München und Paris folgten. Im Sommer 1992, nach dem er für die Firma Multi Contact in Weil am Rhein in Zusammenarbeit mit Patric Clauss eine 160 qm große Aussenfassade gestaltet hatte, flog er für vier Wochen nach New York zu den Wurzeln der Graffiti-Kultur. Dort sprühte er mit der Graffitilegende POEM eine Wand in Brooklyn und kleinere Werke in der Bronx. Die gewonnenen Eindrücke wurden Inhalt seiner Arbeiten auf Leinwand.
Der Weg von der großflächigen Wand auf die Leinwand war für ihn ein schwieriges Unterfangen, da das Werkzeug Spraydose die Ausdruckskraft auf kleineren Arbeitsflächen doch sehr erschwert. Als Schriftenmaler sind ihm auch andere Techniken geläufig, was mit ein Grund für die später fast ausschließlich Arbeiten mit Pinsel auf Leinwand ist. Es folgten Auftragsarbeiten und Ausstellungen in der ganzen Schweiz, unter anderem das Theater-Tram der Basler Verkehrsbetriebe im Auftrag der Migros, künstlerische Gestaltung von sämtlichen Filialen der City Disc AG in der Schweiz, Bühnenbilder für das Béjart Ballet in Lausanne, Plakatgestaltung für den Rollerpalast in Luzern mit schweizweitem Aushang, Bemalungen von Autowaschstrassen und künstlerische Konzepte für verschiedene Discotheken in der Schweiz. 1993 reist er nach Los Angeles. Dort gestaltete er mit HEX, einem weltbekannten Graffitikünstler, den Hiphop-Shop an der Melrose Avenue. Es folgten Arbeitsreisen nach Amsterdam und Kopenhagen. Live-Darbietungen an Hiphop-Veranstaltungen, u.a. in Frankfurt, Dresden, Dortmund, Essen und Stuttgart.
Als Herausgeber veröffentlichte er die erste Ausgabe des Graffitimagazins AEROSOUL. Die Liste seiner Projekte wird in der Folge immer dichter: 1996 dann die Ausstellung mit ausgewählten Graffitikünstlern und H.R. Giger an der ART Frankfurt. Gro?e Wandgestaltung in Hamburg mit DAIM und HESH für die SAGA-Wohnbaugenossenschaft. 120 qm Wandgestaltung in Naestved, Dänemark mit CMP, SPIN und Mister Green. Gewinner des Graffitiwettbewerbes in St. Imier. Gruppenausstellung „A Tribute to Style“, Kallmann Museum, Ismaning/München . 1997 die Bemalung einer 800 qm Wand in Hamburg/Altona im Auftrag der Sprinkenhof AG zum Thema Multi-Media in Zusammenarbeit mit 14 internationalen Graffitikünstlern. Gruppenausstellung „Aufstand der Zeichen“, Toskanische Säulenhalle Augsburg . Live-Darbietung in Dunkerque.
Aber auch zuhause: 1998 kam es zur Bemalung von zwei Kühen für das Läckerli-Huus zum Anlass von 555 Jahre Basler Läckerli in Zusammenarbeit mit dem Künstler Coorpato,.Co-Autor des Buches „Swiss Graffiti“ zusammen mit Beat Suter, erschienen im Verlag Edition Aragon. Gemeinsam mit seinem Freund Patrick Luetzelschwab gestaltete er 1999 vor der Landesgartenschau Grün 99 die Bahnhofsunterführung in Weil am Rhein im Auftrag der Deutschen Bahn AG. Live-Darbietungen in Ancona, Montpellier, Saarbrücken, München und Karlsruhe gehörten zu seinem Kalender genauso wie Ausstellungen und Projekte in New York, London, Lausanne, Locarno, Saarbrücken Fernsehauftritte mit bekannten Persönlichkeiten des Kunstlebens folten. Die Spraydosenfirma „Belton Molotow “ bringt den Farbton „085 Dare Orange“ auf den weltweiten Markt.
2002 folgten Ausstellungen in Hamburg "Urban Discipline ", Heidelberg und Lahr, Projekte in Turin. Das Buch „Dare on Canvas“ wurde veröffentlicht. Und wieder öffentliche spektakuläre Projekte in Mailand, in Barcelona, Braunschweig und Arbeitsreisen nach Malmö, Kopenhagen, Saarbrücken und Landau. Ein Jahr später half er bei der Gründung und Organisation der Galerie K31 in Lahr.
Nach öffentlichen Arbeiten in Bern, Zürich kam eine 80 qm Außenwand in der Stadt St. Gallen im Auftrag der KB Medien AG dazu. Er hielt Vorträge an der Schule für Gestaltung, Basel und folgte Patrick Luetzelschwab gemeinsam mit Stefan Winterle und Wolfgang Krell ins Kulturzentrum Kesselhaus. Für die Stadt Weil am Rhein war er auch an der Fassade des Hauses der Volksbildung beteiligt.
Seine Werke waren auf der ART Basel zu sehen und wurden von Marshall Art Basel publiziert. 2006 feierte er dann 20 Jahre DARE mit Projekten in Zagreb, Paris, Fredericia (DK). Die Spraydosenfirma „Belton Molotow “ brachte den Farbton „302 Dare Orange Transparent“ auf den weltweiten Markt. Er war an der Alinghi Swiss Roadshow in Zürich und einem Live Painting an der Kospolite in Paris beteiligt und leitete drei Workshops in Basel, Lausanne und Genf. Ende des Jahres übernahm er die künstlerische Leitung der carhartt-gallery in Weil am Rhein-Friedlingen. Die Auftraggeber wurden immer illustrer: elf handbemalte Zifferblätter für die Uhrenmarke Pierre DeRoche an der Baselworld gehörten dazu, aber auch die Bemalung des Appartments von Gunter Sachs im Schloss am Wörthersee mit TOAST (Ata Bozaci) in Velden (A). Live Paintings in Sarajevo und Genf hatten auch friedenspolitischen Charakter. Er war an ungewöhnlichen Ausstellungsprojekten in Lörrach und Weil am Rhein beteiligt und inspirierte zu vielen weiteren Projekten.
Auf Anregung von Gunther Sachs malte er 2008 "my pulse" ein monumentales Werk für das Museum der bildenden Künste Leipzig zur Retrospektive von Gunther Sachs "Die Kunst ist Weiblich".
2009 wurde er an der ART KARLSRUHE von der Galerie Springmann präsentiert. Im Mai lud ihn Kurt Aeschbacher zum TV-Talk ein, sein Werk geriet zur Titelstory in der Zeitschrift Regio Aktuell". Und zeigte Ende des Jahres auf seiner Homepage www.dare.ch seine neun Favoriten. Sigi von Koeding war nachtaktiv, viele kreative Impulse kamen mit der Stille. Seien Werke sprechen in aller Welt eine fortdauernde ästhetische Sprache. Nicht nur viele persönliche Freunde trauern seit dem 6. März um den sympathischen, aufmerksamen und offenen Menschen, sondern auch zahllose Kunstfreunde in aller Welt.
T.P.
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