Dienstag, 25. Oktober 2011

Josef Albers: Studien eines Emigranten

Farbstudie zu 'Homage to the Square, Platinum', o. J. Öl auf Löschpapier, 29,5 x 29,6 cm; The Josef and Anni Albers Foundation. © The Josef and Anni Albers Foundation

Basel.- Das Kunstmuseum Basel zeigt ab 5. November über 70 Arbeiten auf Papier, die der in Bottrop geborene Josef Albers (1888–1976) nach seiner Emigration 1933 in Amerika geschaffen hat: Studien zu den «Kinetics» und «Adobes» der späten 30er und 40er Jahre und eine umfangreiche Werkgruppe, mit denen Albers von 1950 an seine Gemälde der «Homages to the Square» vorbereitete. Sämtliche Leihgaben für die Ausstellung haben das Museum Quadrat, Bottrop, und die Anni and Josef Albers-Foundation in Bethany, Connecticut, zur Verfügung gestellt. Erstmals sind sie in einer Wanderausstellung in diesem Umfang in Europa zu sehen.

Josef Albers hatte seine erste künstlerische Ausbildung an der Königlichen Kunstschule in Berlin, an der Kunstgewerbeschule in Essen und den Akademien in Berlin und München erhalten. Von 1920 an war er Student am Bauhaus in Weimar und erhielt 1923 dort bereits die Leitung der Werkstatt für Glasmalerei. Albers schuf Glasbilder und entwarf Möbel, Glas- und Metallgeräte und entfernte sich mehr und mehr von der Gegenständlichkeit. Nach der Auflösung des Bauhauses, das ab 1925 nach Dessau, 1932 nach Berlin umgezogen war, emigrierte er mit seiner Frau Anni 1933 in die USA; 1939 wurde er amerikanischer Staatsbürger.

Albers nahm den Ruf als Leiter des Art Department am neu gegründeten Black Mountain College in Ashville, North Carolina, an, wo er von 1933 bis 1949 tätig war. Zwischen 1950 und 1959 leitete er das Art Department der Yale-University in New Haven. Die Eindrücke, die er durch die grossartige Landschaft Nordamerikas, die Kunst und Kultur Lateinamerikas und Mexikos erhielt, das er ab 1935 immer wieder bereiste, gewannen wesentlichen Einfluss auf sein weiteres künstlerisches Schaffen, insbesondere die Malerei. Seine Lehrtätigkeit und sein Werk waren von weitreichender Wirkung auf europäische und amerikanische Künstler, die bis heute anhält. Zu seinen Schülern und Schülerinnen gehörten John Cage, Donald Judd, Eva Hesse, Kenneth Noland, Robert Rauschenberg, Richard Serra u.a.

Die «Kinetics» und «Adobes» der späten 30er und 40er Jahre sind beeinflusst von den architektonischen Strukturen monumentaler Ziegelbauten präkolumbianischer Siedlungen, dann von den Pyramiden der Maya-Kultur, deren abstrakten, «kubistischen Charakter», Albers in seinen Schwarzweiss-Fotografien in besonderer Weise herausarbeitete. So sind die «Kinetics» dieser Jahre stark von Linienstrukturen bestimmt. Es ergeben sich dynamische Bildwirkungen mit immer wieder neuen Lesarten, die der Betrachter in ihnen erschliessen kann, wenn er sich auf die Fläche-Raum-Beziehungen der Farbfelder, die den geometrischen Formen folgen, einlässt.

Diese optische Dynamik der Werke, welche die Mehransichtigkeit suggerierter Räume, einmal in Aufsicht, dann in Untersicht, sowie deren spiegelbildliche Entsprechung beinhaltet, kommt in den Bezeichnungen Kinetic, Biconjugate oder Tautonym zum Ausdruck. Die Adobes, die in ihren Kompositionen stärker den Lehmziegelhäusern des Adobe-Baustils in Mexiko und deren Farbigkeit verpflichtet sind, erinnern motivisch an Fenster, Toröffnungen oder Grundrisse, wie sie in den genannten Architekturen zu finden sind. Auch in ihnen experimentierte Albers mit ungemischten Farben und beobachtete die Veränderungen, die bei ihrem Zusammentreffen entstanden, und deren Identität es infrage stellte.

Mit den «Homages to the Square» befasste sich Albers von 1950 an bis zu seinem Lebensende 1976. Albers erprobte in diesen Blättern die Farbe in allen Variationen und feinsten Abstufungen, ohne dabei Farbsystemen oder einer Farblehre zu folgen. Als Bildträger verwendete er Löschpapiere, die eine hohe Saugfähigkeit besitzen. Deren überschaubare Grösse kam seiner Experimentierfreude entgegen und förderte das serielle Arbeiten, das Albers’ Schaffen schon von Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit an charakterisiert. Manche der späteren Blätter wirken skizzenhaft oder unvollendet, so wie dies dem Medium Zeichnung vorbehalten ist, das die Möglichkeit für spontane Entscheidungen öffnet und Einblicke in den schöpferischen Prozess zu geben vermag. Notizen, die er am Rand anbrachte oder in die Farben selbst schrieb, lassen den experimentellen Charakter mancher Beispiele besonders deutlich werden.

Um jeden Anklang an Gegenständlichkeit, wie auch willkürliche innerbildliche Kompositionen zu vermeiden, und damit das eigentliche Thema, die Farbe, in den Vordergrund zu rücken, wählte Albers nun die einfache wie auch radikale Form des Quadrates als Motiv seiner Bilder. Ihm schrieb er weitere Quadrate ein, die sich gegenseitig überlagern, sodass sie nur in den Randbereichen hervortreten; lediglich in der Mitte wird jeweils wieder ein vollständiges Quadrat sichtbar. Diese Überlagerung von Quadraten verstärkt die Interaktion der hier aufgebrachten Farben. Das Motiv des Quadrates ist nicht lediglich neutral, es besitzt zahlreiche kulturelle wie psychisch bedingte Assoziationen, man denke nur an die indianische Kunst Amerikas. Kosmische Vorstellungen von Himmel und Erde oder den vier Himmelsrichtungen werden angesprochen, bis hin zur Idee, dass ein Mensch mit ausgestreckten Armen einem Quadrat eingeschrieben sein kann (wie in einer Zeichnung von Leonardo da Vinci nach Vitruv). Es besitzt gegenüber den Adobes einen meditativen Charakter und lädt, wie bei einem Mandala, bei dem Kreis und Quadrat bestimmende Formen sind, zur Konzentration und zum ruhigen Betrachten ein.

So können umso mehr die Farben ihre Wirkung auf den Betrachter entfalten, der das Bild als Ganzes wahrzunehmen vermag. Der Gefahr einer statischen Erscheinung des Bildes wirkte Albers durch das Verschieben der inneren Bildquadrate – manchmal sind es drei, dann vier – aus der Mitte nach unten entgegen. Innerhalb eines Rastersystemes von je zehn waagerechten und senkrechten Einheiten, das allen Bildern zugrunde liegt, ergab sich eine Fülle von Möglichkeiten, die Quadrate von Bild zu Bild in unterschiedlichen Abständen zu platzieren und mit Farben je eigener Gewichtung zu besetzen. Mit der Verlagerung der Mitte nach unten arbeitete Albers auch dem Eindruck von zentralperspektivisch sich lediglich nach innen hin verjüngenden Quadraten oder Raumsegmenten entgegen, deren Ecken wie bei einer Konstruktion alle auf denselben Diagonalen liegen.

Vielmehr scheinen die Quadrate je nach ihrer Farbigkeit vor oder zurückzuspringen, kleiner oder grösser zu werden, ja selbst bisweilen die Gestalt von Hochrechtecken anzunehmen. Die Raumhaltigkeit, welche die Farben selbst eröffnen, wird somit wieder in die Fläche zurückgeführt. Damit konnte er die Wechselwirkung der den einzelnen Feldern zugewiesenen und so voneinander abgegrenzten Farben aufeinander steigern und deren unerschöpfliche Veränderbarkeit demonstrieren. Es ging ihm um die «Interaction of Color», so auch der Titel seines 1963 erschienenen Buches, um den Zusammenklang der Farben in einem Bild.

Die Beispiele dieser Werkgruppe reichen von Farbproben bis hin zum durchgearbeiteten Werk, das dem Anspruch eines Gemäldes in Nichts nachsteht. So paradox es erscheinen mag, gerade in den hier vorgestellten Arbeiten auf Papier werden Albers’ Fähigkeiten als Maler fassbar, und zwar wesentlich stärker, als dies bei seinen auf Hartfaserplatten ausgeführten Gemälden der Fall ist. In den Malereien auf Papier tritt zwar die Handschrift des Malers durch das Arbeiten mit Messer oder Spachtel zurück, mit denen Albers die ungemischten Tubenfarben satt aufträgt, doch erhalten die Oberflächen gleichzeitig ein Relief von nahezu gestischem Ausdruck. Es trägt zur Lebendigkeit der Bilder bei und steigert die Materialität der Farbe, die auf diese Weise zu sich selbst kommt. Das dicke Löschpapier entzieht den Farben das Öl und verleiht ihnen eine lichthaltige, seidig schimmernde Präsenz.

In die Ausstellung sind die beiden Werke von Josef Albers integriert, die sich im Kunstmuseum Basel befinden. Aus der Zeit seiner Tätigkeit am Bauhaus stammt das Glasbild «Fuge» von 1925 (Inv. G 1958.64, Depositum der Freunde des Kunstmuseums Basel). Ein frühes Beispiel aus der Folge der Homage to the Square stellt das Gemälde «Blue Call» von 1956 dar (Inv. G 1968.24).


Zur Ausstellung erscheint ein Katalog (deutsche und englische Ausgabe), erschienen im Hatje /Cantz Verlag, mit Texten von Isabelle Dervaux, Heinz Liesbrock und Michael Semff, zum Preis von CHF 45.-

Öffnungszeiten: Di bis So 10 - 17 Uhr

Malerei auf Papier – Josef Albers in Amerika
5. November 2011 bis 29. Januar 2012
Kunstmuseum Basel
St. Alban-Graben 16
4010 Basel
0041 (0)61 20662-62
www.kunstmuseumbasel.ch

Allerlei Zweifel in der Eifel

Wer noch immer glaubt, Liebe und Mordlust haben nichts miteinander zu tun, wird vom Leben manchmal eines Besseren belehrt. Und wenn dann auc...