Mittwoch, 14. November 2012

Bilder über Bilder

Sturtevant: Elastic Tango, 2010. Video installation, 3 act video play on 9 monitors; Exhibition view Moderna Museet Stockholm 2012, © Sturtevant. Photo: Åsa Lundén, Moderna Museet, Stockholm
Zürich.- Klon, Doppelgänger, Reflexion? Seit über einem halben Jahrhundert stellt die in Paris lebende Amerikanerin Sturtevant (geboren in Lakewood, Ohio) die Auffassung von Kunst und das traditionelle Verständnis des künstlerischen Schöpfungsprozesses in Frage. In ihrer von rigorosen und beharrlich konzeptuellen Denkprozessen geprägten Arbeitsweise sind die differenzierende Wiederholung im Deleuzeschen Sinne und die Frage nach dem Original in einer von Simulacra geprägten Realität zentral.  Die Kunsthalle Zürich widmet ihr ab 17. November eine spannende Ausstellung.

Seit den 1960er Jahren wiederholt Sturtevant konsequent Gemälde, Skulpturen und Installationen um Begriffe wie «Echtheit», «Autorschaft» und «Repräsentation» zu untersuchen – so z.B. 1965 Andy Warhols Flowers. Die Ausstellung «Image over Image» vereinigt zahlreiche ihrer wegweisenden Wiederholungen von Werken von Warhol, Marcel Duchamp, Joseph Beuys, Jasper Johns und Félix González-Torres, sechs ihrer Videoinstallationen sowie eigens für die Ausstellung konzipierte Arbeiten und gewährt einen umfangreichen Einblick in das Schaffen dieser für die Kunstgeschichte seit den 1960er Jahren bedeutenden Künstlerin.

In den letzten Jahren war Sturtevant mehrmals zu Gesprächen mit Künstlern in der Kunsthalle Zürich eingeladen. So diskutierte sie mit Wade Guyton, Seth Price, Josh Smith und Kelley Walker, deren Werke um Themen der Wiederholung und Autorschaft angesichts eines von digitalen Verbreitungsmedien geprägten Realitätsbegriffs handeln, ebenso wie mit AA Bronson, der im Künstlerkollektiv General Idea wie Sturtevant bereits in den 1960er Jahren mit subversiv-humorvollen Aneignungen Furore machte. Sturtevants Ausstellung «Image over Image», die ihr Schaffen seit den 1970er Jahren umfasst, ermöglicht einen Blick auf das OEuvre einer visionären Künstlerin, die stets die Kunst wie auch die Realität, in der sie wirksam wird, kritisch befragt.
Als Sturtevant 1965 in ihrer ersten Einzelausstellung in der Bianchini Gallery in New York ihre Wiederholungen – darunter auch Warhols Flowers – präsentierte, trat man ihr mit Unverständnis, Unsicherheit, Vorwürfen und Empörung entgegen.

Ihre Arbeiten wurden oberflächlich als Kopien verstanden. Sturtevant jedoch wollte mit der Repetition von Werken den Raum dahinter öffnen, wollte die kritische Diskussion über die Oberfläche, das Produkt, das Copyright, die Autonomie und die stille Macht von Kunst anstossen. Warhol selbst, der mit seiner künstlerischen Praxis die Debatten über Original und Vervielfältigung hinter sich gelassen hatte und das Prinzip der Einzigartigkeit obsolet werden liess, stellte ihr eine Original-Siebschablone für ihre Flower-Serie zur Verfügung.

Sturtevant nahm mit ihren Arbeiten vorweg, was Gilles Deleuze über die Differenz und Wiederholung in seinem gleichnamigen Buch aus dem Jahr 1968 äusserte. Neben zahlreichen «Warhol Flowers» produzierte Sturtevant noch weitere Arbeiten nach Warhol aber auch nach Frank Stella, Roy Lichtenstein, Marcel Duchamp, Joseph Beuys oder James Rosenquist, deren Nachname sie – wie auch den Originaltitel – in ihren Werktiteln nennt und so auf den ikonischen Charakter eines Namens verweist, hinter dem ein Werk gar verschwinden kann. 1974 verschärfte sich die Kritik derart, dass sich Sturtevant entschloss, keine Kunst mehr zu machen, bis sie, so die Künstlerin, von den Zurückgebliebenen eingeholt werden würde, was mit der Generation der Appropriationskünstler wie u.a. Sherrie Levine, Louise Lawler, Richard Prince Anfang der 1980er Jahre eintrat.

Mitte der 1980er Jahre wandte sich Sturtevant vermehrt jüngeren Zeitgenossen wie Keith Haring, Félix González-Torres oder Robert Gober zu, noch immer mit dem gleichen Gespür für Werke, die alsbald zu Ikonen der Kunstgeschichte wurden. Seit 2000 kombiniert die Künstlerin Bilder aus den Massenmedien mit eigenem Filmmaterial. Die dabei entstehenden Videoinstallationen verweisen über die internen Belange der Kunstszene hinaus und erweitern die Wirkungsweise der Kunst um die der Cyberwelt und der digitalen Revolution. Sturtevant beschäftigt sich mit der Allgegenwart von Bildern, die uns tagtäglich umgeben und sich auf die Wahrnehmung der Wirklichkeit auswirken, präsentiert Stereotypen und übt einen scharfen und kritischen Blick auf eine träge Gesellschaft aus, die mehr und mehr mit einer digital geprägten Oberfläche umspannt wird und von der Erlebnisindustrie geprägt ist: «What is currently compelling is our pervasive cybernetic mode, which plunks copyright into mythology, makes origins a romantic notion, and pushes creativity outside the self. Remake, reuse, reassemble, recombine – that’s the way to go.» (Sturtevant)

Ein Beil hackt unaufhörlich auf einen blutverschmierten Handschuh ein, ein phallischer Besenstil – teilweise verdeckt – ragt zwischen zwei dünnen Beinen hervor, Sturtevant, den Kopf hin und her werfend, verlangt lauthals nach einer Bezahlung oder ein «Trainer» schreit eine Frau an, sie solle den Hamburger zerkauen, kauen, kauen... Das sind sich endlos wiederholende Aktionen und Bilder, die die siebenteilige Videoinstallation «Dark Threat of Absence Fragmented and Sliced» (2003) zeigt. Auch wenn die Arbeit sich auf Paul McCarthys Painter (1995) bezieht, geht es nicht um Malerei noch um besagtes Video, vielmehr um Bilder der Verstümmelung, des giftigen Genusses, um Sex und Hysterie, um Individuen, die zu Figuren mutiert sind und die allzeit angeheiterte Masse. Einige Sequenzen sind auch in der pyramidenförmigen Videoinstallation «Elastic Tango» (2010) neben Bildern von Dollarnoten oder explodierenden Atombomben wiederzufinden. Auf der Tonebene vermischt sich das Lachen von Beavis und Butthead mit einer Arie und Spielzeughunde scheinen «What a Wonderful World» zu singen.

«Elastic Tango» vollzieht sowohl formal wie inhaltlich Sturtevants Auseinandersetzung zum «Bild über dem Bild». Die Künstlerin spielt mit der Verschiebung der Kunst in den Bereich der digitalen und kybernetischen Täuschung und benutzt die digitale Oberfläche für ihren zugleich kritischen wie karikaturierenden kakophonischen Spass, bei dem das Eklige, Banale und Humorvolle in einer anti-intellektuellen Welt aufeinander treffen.

Publikation: In Zusammenarbeit mit dem Moderna Museet ist bei JRP|Ringier die Publikation «Sturtevant. Image over Image» mit zahlreichen Abbildungen und Texten von Daniel Birnbaum, Bruce Hainley, Fredrik Liew, Paul McCarthy, Stéphanie Moisdon, Beatrix Ruf und der Künstlerin erschienen. 108 Seiten, Texte in englisch und schwedisch. ISBN 978-3-03764-282-5, CHF 27.00

Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr 12 - 18 Uhr , Donnerstag 12 - 20 Uhr, Sa und So 11 - 17 Uhr, Montag geschlossen

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17. November 2012 bis 20. Januar 2013
Eröffnung: Fr 16. November, 18 Uhr

Kunsthalle Zürich
Limmatstrasse 270
CH - 8005 Zürich
0041 (0)44 272 15 15
info@kunsthallezurich.ch
http://www.kunsthallezurich.ch

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