Dienstag, 9. April 2013

Spuren eines Sammlers mit vielen Gesichtern

Das Wohnzimmer in der Casa Anatta, dem Haus von der Heydts auf dem Monte Verità, wo er von 1926 bis ca. 1939 gelebt hat; Schwarz-Weiss-Fotografie. Foto: Ernesto Steinemann, Locarno
Zürich.- Für Eduard von der Heydt (1882–1964) gab es nur eine Kunst – er nannte sie ars una. Als junger Mann kaufte er Bilder des Realismus, später der Moderne sowie zeitgenössische Kunst. Ab 1920 erwarb er die ersten afrikanischen Skulpturen und auch chinesische Bilder. Wenige Jahre später besass er bereits eine unvergleichliche, alle Kontinente umspannende Sammlung. Die aussereuropäische Kunst schenkte er der Stadt Zürich, was 1952 zur Gründung des Museums Rietberg führte. Das Museum beschäftigt sich nun ab 20. April unter dem Titel Von Buddha bis Picasso mit dem Sammler Eduard von der Heydt. Erstmals wird von der Heydts ursprüngliche Kunstsammlung, die heute in Wuppertal, in Zürich und in weiteren Museen zu finden ist, anhand ihrer Schlüsselwerke gezeigt.


Der aus Wuppertal stammende deutsch-schweizerische Bankier und Kunstsammler Eduard von der Heydt hat bleibende Spuren hinterlassen: Nich nur das Museum Rietberg in Zürich verdankt ihm seine Existenz, das Von der Heydt-Museum in Wuppertal trägt ihm und seiner Familie zu Ehren seinen Namen, und der Kanton Tessin ist dank ihm im Besitz zahlreicher Kunstwerke und des Monte Verità in Ascona.

Seine einst über 3000 Werke umfassende Sammlung mehrheitlich aussereuropäischer Kunst, aber auch westlicher Malerei und Plastik, entstand in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1600 Objekte befinden sich heute in Zürich, rund 200 Skulpturen, Gemälde und Arbeiten auf Papier in Wuppertal. 500 Werke blieben in Ascona, die übrigen gingen im Krieg verloren, wurden getauscht und verkauft.

Von der Heydt hatte am Ende des Ersten Weltkriegs sein gesamtes Vermögen in London verloren. Seither war er von der Angst vor einem erneuten Verlust getrieben. Um dieses Risiko zu verringern, verteilte er seine Vermögenswerte auf verschiedene Firmen und seinen Kunstbesitz auf Standorte in diversen Ländern. Ab 1925 betrieb er eine ausgeklügelte, unvergleichliche Leihgabenpolitik. Ende der 1930er-Jahre hatte er an nicht weniger als 70 Institutionen Kunstwerke ausgeliehen.

Von der Heydt trat als Leihgeber aus steuerlichen Gründen häufig nicht unter eigenem Namen auf, sondern unter dem seiner Bank oder einer Finanzgesellschaft. 1938 gründete er in Holland eine Aktiengesellschaft, die Museum von der Heydt N.V., Eysden, der er sämtliche Kunstwerke überschrieb. 1940 wurde eine Schweizer Aktiengesellschaft, die Ratio S.A., Eigentümerin der Sammlung. Damit befanden sich deren Eigentumsrechte in der Schweiz. Physisch waren zwar noch bedeutende Teile der Sammlung in ganz Europa verstreut, viele Werke hatte der Sammler aufgrund der nationalsozialistischen Kulturpolitik aber bereits aus deutschen Museen abgezogen und in Zürich oder an anderen Orten in der Schweiz in Sicherheit gebracht.

Eduard von der Heydt hat im Lauf seines Lebens vier Privatbanken gegründet. In der Schweiz jedoch, wo er seit 1926 auf dem Monte Verità einen Wohnsitz hatte, führte er nie eine eigene Bank; seine Geschäfte über Vermögensgesellschaften und Konten wickelte er hier bei anderen Banken ab. Von der Heydt tätigte zwar durchaus ertragreiche Finanzgeschäfte, war aber keineswegs der erfolgreiche Bankier, für den er immer gehalten wurde. Auch war er nicht – obwohl er dies selbst kolportierte – der Bankier Kaisers Wilhelms II., der ab 1918 in Holland im Exil lebte und den er gut kannte.

Von der Heydts erste Bank (London 1910–1914) wurde im Ersten Weltkrieg beschlagnahmt, die zweite (Amsterdam 1920–1924) musste er ökonomisch bedingt aufgeben, die dritte (Zandvoort 1924–1942) kriegsbedingt liquidieren, und die vierte, diejenige in Berlin (1925–1927), konnte nur dank der Übernahme durch die Thyssen Brüder gerettet werden; von der Heydt verblieb dort bis 1943 im Aufsichtsrat. Diese Bank, die nach 1930 August Thyssen-Bank AG hiess, stand dem Nationalsozialismus nahe und pflegte Beziehungen zum Militärischen Nachrichtendienst («Abwehr»).

So führte von der Heydt Finanztransaktionen für die Abwehr aus, die er anfangs über die Bank in Holland, später über die Schweizerische Bankgesellschaft in Locarno abwickelte. Es handelte sich unter anderem um Zahlungen an deutsche Agenten in Mexiko. Nachdem er im Oktober 1943 von der Schweizerischen Bundespolizei aufgrund von Hinweisen der amerikanischen Behörde verhört worden war, trat er im November aus dem Aufsichtsrat der Thyssen-Bank zurück. 1946 wurde er für 24 Tage inhaftiert. Vor dem Schweizer Militärgericht, vor welchem er wegen «fortgesetzter Vorschubleistung zu Nachrichtendienst gegen fremde Staaten» angeklagt wurde, verneinte er gewusst zu haben, für wen die überwiesenen Gelder bestimmt waren. 1948 wurde er von Schuld und Strafe freigesprochen.

Die nach der Öffnung der Archive erfolgte historische Forschung seit 1980 konnte belegen, dass von der Heydt informiert war über die Zahlungen. Das Urteil war in diesem Sinne milde und mit Rücksicht auf sein Mäzenatentum gefällt worden. Von der Heydt hätte die Schweiz wohl bei einer Verurteilung und einer Aberkennung seines Schweizer Bürgerrechts mitsamt seiner Sammlung verlassen. Seinen Lebensabend verbrachte der mit der Ehrendoktorwürde der Universität Zürich, dem Ehrenbürgerrecht von Wuppertal sowie mit dem Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnete von der Heydt in seinem Haus am See in Ascona.

Die Ausstellung erzählt von der Heydts Biografie anhand von rund 180 Kunstwerken. In sechs Räumen werden die wichtigsten Lebensstationen des Sammlers dargestellt.
Im Einführungsraum gibt eine Chronologie einen Überblick über sein Leben. Die elterliche Sammlung wird mit Werken von Paula Modersohn-Becker, Conrad Felixmüller, Wilhelm Lehmbruck sowie Alexej von Jawlensky dargelegt. Der avantgardistischen Sammlung der Eltern, die Künstler direkt förderten, steht Eduard von der Heydts Sammlungskonzept «Ars una» gegenüber. Für ihn gab es nur eine Kunst, die alle Kulturen und Regionen umfasste. Zu sehen ist eine Vitrine mit Dokumenten und Büchern, welche gleich zu Beginn die Historiografie und damit die Kontroverse um die Person Eduard von der Heydts als Bankier aufzeigen.

Der zweite Raum ist von der Heydts erstem Museum Anfang der 1920er Jahre in Amsterdam gewidmet, dem Museum «Yi Yuan». Gleichzeitig werden in dieser Zeit erworbene Sammlungshighlights sowohl chinesischer wie afrikanischer Kunst gezeigt.

Der dritte Raum beschäftigt sich mit seinem Museum im holländischen Zandvoort. Dort zelebrierte von der Heydt sein Leben mit der Kunst weiter. In einem Museum Lunch Room (Muluru) konnte man «unter einem japanischen Dämon Bier trinken» oder bekam «vor der Südseeplastik Butterbrot serviert» – ein wundersames Ambiente. Europäische Meisterwerke von Van Gogh, Cézanne und Picasso werden so inszeniert, wie von der Heydt sie in seinen privaten und öffentlichen Räumen lebte: gemeinsam mit aussereuropäischer Kunst. Ein Podest mit sechs eindrücklich geschnitzten, kultischen Uli-Figuren aus der Südsee – eine einzigartige Installation – weist auf einen spektakulären Grosseinkauf von der Heydts hin. Die Folge der wachsenden Sammlung war eine unvergleichliche und strategisch kühn kalkulierte Leihgabenpolitik, die anhand einer Multimedia-Konsole erklärt wird.

Der vierte Raum zeigt von der Heydts Leben Ende der 1920er Jahre als engagierten Sammler in Berlin. Der nach 1918 mit der Bankierstochter Vera von Schwabach verheiratete von der Heydt bezeichnete sich selber als «ungeeignet» für die Ehe und lebte fortan als Junggeselle, nahm am gesellschaftlichen Leben in Berlin teil, gründete 1929 den Freundesverein der Nationalgalerie und tätigte dafür zahlreiche Erwerbungen an zeitgenössischer Kunst. 1933 trat er in die holländische Auslandsorganisation der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) ein. Bereits Ende 1933 formulierte er erste Zweifel. Nach Erhalt seiner Schweizer Staatsbürgerschaft 1937, schied er 1939 definitiv aus der Partei aus.

Im fünften Raum wird auf von der Heydts Leben im Tessin eingegangen: Ab Mitte der 1930er Jahre lebte er vorwiegend in Ascona, wo er 1926 den Monte Verità erworben hatte und wohin er einen grossen Teil seiner Kunstsammlung gebracht hatte. Er empfing hier zahlreiche Gäste aus Politik, Diplomatie, Industrie, aus Schriftsteller- und Künstlerkreisen, jedoch auch viele Wissenschaftler, Kunsthistoriker, Händler sowie Sammlerfreunde. Die sozialgeschichtlich sehr aufschlussreichen Gästebücher sind in einer zweiten Multimedia-Konsole einzusehen und mit ausgewählten Kurzbiografien erläutert.

Der letzte Raum befasst sich mit der Gründung des Museums Rietberg. Diese geht auf erste Leihgaben 1932 an das damalige Kunstgewerbemuseum Zürich (heute Museum für Gestaltung) zurück. 1946 schloss von der Heydt mit der Stadt Zürich einen Leih- und Erbvertrag ab, welcher den Grundstein für das 1952 eröffnete Museum Rietberg legte. Wie damals wird ein Meisterwerk des Museums Rietberg, ein sitzender Bodhisattva vor einem belgischen Wandteppich mit Blumen und Blättern eindrücklich inszeniert. In allen Räumen veranschaulichen zahlreiche gross aufgezogene Schwarzweissfotografien das Sammlungskonzept sowie die ästhetische Intention Eduard von der Heydts.



Öffnungszeiten: Di bis So 10 – 17 Uhr, Mi und Do 10 – 20 Uhr, Montag geschlossen

Von Buddha bis Picasso
Der Sammler Eduard von der Heydt
20. April bis 18. August 2013

Museum Rietberg
Gablerstrasse 15
CH - 8002 Zürich
0041 (0)44 206 31 31
museum.rietberg@zuerich.ch
www.rietberg.ch

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